Welche Baustoffe sind für ein zukunftsorientiertes und nachhaltiges Bauen erforderlich? Experten wie Architekten, Planer und Bauingenieure wissen, dass ein besonders wichtiger Baustoff häufig im breiten Bewusstsein unterschätzt wird: Stahl.
Bauen mit Stahl war schon immer nachhaltiges Bauen mit Zukunft, auch wenn die energieintensive Herstellung mittels fossiler Energieträger naturgemäß mit CO2-Emissionen verbunden war. Doch heute und in Zukunft wird das Bauen mit Stahl nicht nur nachhaltiger, sondern auch umweltfreundlicher als je zuvor. „Grüner Stahl“, der mit „grünem Wasserstoff“ und „grünem Strom“ statt Kohle und Gas produziert wird, ist nicht nur klimaneutral, sondern auch zu 100 % recyclingfähig bei gleichbleibender Qualität. Somit ist er schon heute das Paradebeispiel für die Transformation des Bauens hin zur geschlossenen Kreislaufwirtschaft.
CO2-Reduktion ist das Gebot der Stunde, besonders im Bauwesen. Die Stahlindustrie spielt dabei eine entscheidende Rolle. Mithilfe von Wasserstoff und grünem Strom sind die Reduktionspotenziale bei der Stahlherstellung erheblich. Das Transformationsziel ist klar: Klimaneutralität bis 2050. Und es ist erreichbar, denn der Weg ist vorgezeichnet. Hochöfen, die kurzfristig mit Technologien zur CO2-Abscheidung, -Nutzung und -Speicherung (CCUS – Carbon Capture, Utilization, and Storage) ausgestattet wurden, werden bald vollständig durch Elektrolichtbogenöfen (EAF) ersetzt. Diese Öfen erzeugen Primärstahl aus direkt reduziertem Eisenschwamm (DRI – Direct Reduced Iron) unter Verwendung von Wasserstoff.
Doch das ist nicht alles. Dank der zunehmenden Verfügbarkeit von Schrott wird der Bedarf an DRI und somit an Eisenerz weiter sinken. Heute werden etwa 37 % des globalen Stahls aus Schrott hergestellt. Bis 2100 wird so viel Schrott verfügbar sein, dass auf die DRI-Produktion verzichtet werden kann und die Industrie in einem vollständig geschlossenen Kreislauf mit 100 % Schrott als Rohstoff arbeiten kann – selbstverständlich unter Verwendung von EAF-Technik und gespeist mit erneuerbaren Energien.
Mit guter Planung nachhaltig bauen
Entlang der gesamten Wertschöpfungskette – von der Energieerzeugung über die Primär- oder Recyclingstahlherstellung, die Produktion der Bauteile und den Transport bis hin zum Bau selbst, einschließlich eventuellen Rückbaus und Recyclings – gibt es zahlreiche Hebel, um Nachhaltigkeit und Klimaneutralität zu optimieren. Der erste Schritt ist der Abschied von der Formel „Viel hilft viel“. Durch gute Planung und effizientes Design lassen sich die eingesetzten Baustoffmassen erheblich reduzieren, was einen wesentlichen Beitrag zur signifikanten CO2-Reduktion leistet. Massenreduzierung bedeutet nicht, weniger Bauwerke in Stahl- und Verbundbauweise zu errichten, sondern durch intelligentes und effizienteres Design mit weniger Stahleinsatz die gleiche Funktionalität zu erreichen.
Konkret bedeutet dies zum Beispiel:
- Die Überdimensionierung von Tragwerken durch effiziente, individuelle und weniger konservative Lösungen zu verringern. Vor der Reduzierung der angesetzten Lasten ist natürlich zu prüfen, ob dies die Nutzungsflexibilität für zukünftige Funktionen des Tragwerks einschränkt.
- Die Gebäudelebensdauer durch die Auslegung für Anpassbarkeit und Nutzungsflexibilität zu verlängern, etwa durch große Spannweiten, modulares Bauen und Lastreserven.
Durch diese Maßnahmen kann der Einsatz von Baustoffen optimiert und somit ein wichtiger Beitrag zur Nachhaltigkeit und Klimaneutralität geleistet werden.
Um die richtigen Planungsentscheidungen für einen optimalen Ressourceneinsatz zu treffen, ist es entscheidend, den Lebenszyklus eines Gebäudes ganzheitlich zu betrachten. Dabei müssen selbstverständlich auch die potenziellen CO2-Emissionen während des Gebäudebetriebs berücksichtigt werden. Darüber hinaus ist es wichtig, das Gebäude und seine Komponenten im Hinblick auf ihre Kreislauffähigkeit zu optimieren, zum Beispiel durch leicht lösbare Verbindungen in der Konstruktion. Die Stahlbauweise bietet in diesem Zusammenhang besondere Vorteile. Wirtschaftliche, technische und gesellschaftliche Veränderungen erfordern anpassungsfähige Gebäude, und Stahlkonstruktionen bieten die notwendige Flexibilität: Sie können leicht und kosteneffizient umgebaut, aufgestockt und erweitert werden.
Potential nutzen
Bei Stahlbauten ist selbst der Rückbau von Wert. Am Lebensende des Gebäudes ermöglicht eine einfache Demontage die direkte Wiederverwendung der Materialien. Bereits heute hat Baustahl in Europa eine Wiederverwendungsrate von 11 % – ein Wert, der in Zukunft noch erheblich gesteigert werden kann.
Die Transformation des Bauens hin zu mehr Nachhaltigkeit hängt nicht nur von den Möglichkeiten und dem Potenzial des Bauens mit Stahl ab, sondern davon, in welchem Umfang dieses Potenzial tatsächlich genutzt wird. Es kommt darauf an, inwieweit Bauherren, Architekten und Planer die Vision eines klimaneutralen und nachhaltigen Bauens teilen und in die Praxis umsetzen. bauforumstahl e.V. unterstützt diese Bemühungen durch kostenlose Fachberatung zu Anwendungsfragen und bietet Planungshilfen, die auf der Website zum Download bereitstehen.
Die Politik hat bereits wichtige Weichen gestellt. Am ersten Tag der diesjährigen Hannover-Messe, dem 22. April 2024, präsentierte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck das neue Kennzeichnungssystem LESS (Low Emission Steel Standard). Zuvor hatte der Bundeswirtschaftsminister bei der Dekarbonisierung der Stahlindustrie vor allem auf Subventionen gesetzt. Diese sollen nun durch grüne Leitmärkte ersetzt werden, wobei grüne Stahlzertifikate einen ersten Schritt darstellen. Erstmals hat die deutsche Industrie nun die Möglichkeit, Stahl als klimafreundlich produziert auszuzeichnen, basierend auf einer klaren Definition.