Zum Hauptinhalt springen
vor.AdobeStock_66734818_atulvermabhai.jpg
08.12.2020 | Maike Eilers, Carla Pütz, Manfred Helmus, Anica Meins-Becker

Wenn fehlendes Risikomanagement zum Risiko wird

Projektrisikomanagement

Bei manchen Großprojekten geraten Kosten und Termine außer Kontrolle. Das lässt sich auch mit einem effizienten Projektrisikomanagement nicht völlig ausschließen, aber drastisch reduzieren – vor allem durch den Einsatz der BIM-Methodik.

Zu Beginn eines Bauvorhabens werden Kosten-, Termin- und Qualitätsziele festgelegt, deren Erreichen den gesamten Bauprozess prägt. Im Vergleich zu anderen Branchen wird Risikomanagement in der Bauwirtschaft oft nachlässig behandelt. Es wird als eine zusätzliche Dokumentationsaufgabe angesehen – und nicht als ein effektives Projektsteuerungs- und Controlling-Instrument. Hier bietet sich die Chance, mit systematisch angewandtem Risikomanagement und erfolgreich umgesetzten Gegensteuerungsmaßnahmen das Ergebnis des Bauprojekts maßgeblich zu steigern.

Gewonnene Informationen aus einem effizienten Risikomanagementsystem können automatisch als Erfahrungswerte für nachfolgende Projekte genutzt werden. Sie steigern langfristig das Erreichen von Qualitäts-, Kosten- und Terminzielen. Die Anwendung der BIM-Methodik öffnet im Hinblick auf die automatische Verknüpfung von Risikomanagementinformationen neue Möglichkeiten, die bislang nicht ausgeschöpft werden.

Abbildung 1: Übersicht der Projektskizze, Bild: Bergische Universität Wuppertal/HUSS-MEDIEN GmbH

Im Lehr- und Forschungsgebiet Baubetrieb und Bauwirtschaft der Bergischen Universität Wuppertal läuft zurzeit das Forschungsprojekt „Maßnahmen zur Umsetzung eines effizienten Projektrisikomanagements durch Einsatz der Methode BIM“. Im Rahmen dieses Projekts werden Lösungen erarbeitet, um mithilfe der BIM-Methodik das Risikomanagement zu verbessern. Im Blickwinkel stehen dabei Bauherren und Bauunternehmen (siehe Abbildung 1).

Abbildung 2: Übersicht des Risikomanagementprozesses, Bild: Bergische Universität Wuppertal/HUSS-MEDIEN GmbH


Der klassische Risikomanagementprozess gemäß DIN ISO 31000 (siehe Abbildung 2) ist ein Teilbereich des Projektmanagements. Er bezieht alle Projektbeteiligten über alle Lebenszyklusphasen eines Projekts ein und greift in unterschiedliche Unternehmensbereiche. Gemeinsam werden über die Prozessschritte Identifikation, Bewertung, Steuerung und Überwachung mögliche Chancen und Gefahren für das Projekt frühzeitig erkannt, um proaktiv gegenzusteuern. Der Risikokreislauf ist hierbei ein kontinuierlicher Prozess. Das bedeutet, dass sich der Kreislauf im Zuge der Projektbearbeitung stetig wiederholt [1].

In dem Projekt erfolgt ausschließlich die Betrachtung des Projektrisikomanagements. Die Ziele des Projektrisikomanagements bestehen in der Transparenz von Risiken in einem Bauprojekt, in der Ableitung und Bewertung von Maßnahmen zur Verringerung von unbekannten Parametern und in der Ermittlung realistischer Zielgrößen. Das Projektrisikomanagement grenzt sich daher vom Unternehmensrisikomanagement ab, dessen übergeordnetes Ziel der Erhalt des Unternehmens ist.

In dem seit Januar 2019 laufenden Projekt wurde zunächst die momentane Anwendung von Risikomanagement bei Bauprojekten betrachtet. Im Hinblick auf immer lauter werdende Forderungen nach einem partnerschaftlichen Herangehen an Projekte zwischen Bauherr und Auftragnehmer werden im Projekt bewusst beide Seiten und ihre Schnittstellen in Bezug auf das Risikomanagement betrachtet.

Bild: Bergische Universität Wuppertal

Durch zahlreiche Experteninterviews und eine Onlineumfrage wurde die Strategie der Unternehmen bei der Umsetzung des Projektrisikomanagementprozesses analysiert. Bei der Betrachtung der bestehenden Risikomanagementprozesse im Hinblick auf Informationsfluss, Detaillierungsgrade und Verantwortlichkeiten kristallisierten sich Unterschiede bei den Ansätzen zum Risikomanagement und zur Priorität, die dem Thema beigemessen wird, heraus.

Positive Ansätze erkennbar

Rund 60 Prozent der befragten Unternehmen setzen Risikomanagement gemäß einer unternehmensweit einheitlichen Risikostrategie um. Diese definiert u. a. Ziele, die mit der Risikobetrachtung erreicht werden sollen, und basiert auf der Unternehmensstrategie. Die erstmalige Identifikation von Risiken erfolgt bereits in der Akquise bzw. mit Projektstart und wird über die weiteren Projektphasen fortgesetzt. Festgehalten werden Risiken meist in Excel-Anwendungen oder unternehmenseigenen Softwareanwendungen. Kommunikationswege zum Risikomanagement sind in der Regel kurz. Durch offene Gesprächskulturen bestehen wenig Ängste, Risiken auch zu kommunizieren.

Die befragten Experten erkennen durch Risikomanagement Vorteile für das Projektgeschäft. Früh erkannte Risiken beeinflussen den weiteren Projektverlauf positiv. Kosten werden eingespart, Kunden gebunden und Erfahrungen sowie Verbesserungspotenziale für Folgeprojekte generiert. Es erfolgt eine verbesserte Steuerung von Kosten und Kostentransparenz über die gesamte Bauphase. Durch Integration des Risikomanagementsystems werden von allen Beteiligten die Verbesserung der Termin- und Kostensicherheit benannt.

Identifizierte Problemfelder

Anstelle von einheitlichen Vorgaben zum Umgang mit Risiken und einem systematischen Ansatz setzt gut ein Drittel der Unternehmen rein auf die Erfahrung der Mitarbeiter.

Die Betrachtung von Risiken erfolgt in der Angebotsphase noch vertieft, wird in der Ausführungsphase jedoch vernachlässigt. Bei der Bewertung von Risiken werden die terminlichen Auswirkungen im Angebot meist nicht berücksichtigt. Die Risikobewertung erfolgt größtenteils intuitiv und ist geprägt durch die Erfahrungen des einzelnen Mitarbeiters. Die Risikobetrachtung endet meist bei der Abnahme und wird nicht bis zum Ende der Gewährleistung fortgeführt.

Bild: Bergische Universität Wuppertal

Oft liegt in den Unternehmen eine klare Trennung zwischen den Abteilungen der Akquise und der Projektausführung bzw. Planung und Realisierung auf Bauherrenseite vor. Nach Projektabschluss werden die gewonnenen Erkenntnisse nur im Gespräch auf Kommunikationsebene an einige Kollegen übertragen. Keines der befragten Unternehmen führt eine systematische Auswertung der Risiken nach Projektabschluss oder eine systematische Weitergabe dieser Informationen an Folgeprojekte durch. Eine parallel zu den Befragungen durchgeführte Marktanalyse zu Risikomanagementsoftware ergab zudem, dass es derzeit kein BIM-fähiges Angebot beispielsweise mit einer IFC-Schnittstelle gibt.  

Fazit der Befragung

Insgesamt wurde deutlich, dass dem Risikomanagement längst nicht in jedem Unternehmen¬ Bedeutung zugemessen wird. Für etwa die Hälfte der befragten Unternehmen spielt Risikomanagement in ihren Projekten kaum eine Rolle. Die Kosten- und Terminschiene eines Projekts wird meist durch höhere Instanzen festgelegt. Den Projektbeteiligten fehlen dadurch die benötigten Handlungsspielräume.

Potenzial besteht bei einer Verstetigung der Risikomanagementprozesse: Regelmäßige Identifikation von Risiken, Anpassung von Bewertungen und die Verknüpfung mit anderen Prozessen werden bislang kaum genutzt, um das Risikomanagement effektiver zu gestalten. Oft besteht kein durchgehender systematischer Ansatz zur Nutzung von Risikomanagementsystemen. Es ist mehr ein Zusammensetzen einzelner Ansätze, die aber nicht ausreichend verknüpft sind. Deshalb gehen Informationen verloren oder werden nicht in vollem Umfang genutzt. Angesichts der Schieflage vieler aktueller Großprojekte zeigt sich hier das Potenzial einer branchenweiten Anwendung von Risikomanagementprozessen.

Für Unternehmen, die sich für einen Check der eigenen Risikomanagementprozesse interessieren, wurde ein kurzer Selbstcheck entwickelt. Durch Abhaken der Punkte werden sowohl bereits erfolgreich angewendete Ansätze deutlich als auch Ideen für weitere Potenziale angeboten.

Ausblick Forschungsvorhaben

Prozesse müssen konkretisiert und in den Unternehmen digitalisiert werden. Die Verantwortlichkeiten sind klar zu definieren. Formulare im Unternehmen und in den einzelnen Projektphasen müssen ebenfalls digitalisiert sowie mit Softwaremöglichkeiten verknüpft werden. Checklisten und benötigte Dokumente sollten regelmäßig durch Erfahrungen und Marktanpassungen gepflegt werden und für jeden Mitarbeiter zentral abgelegt sein.

Im weiteren Verlauf des Forschungsprojekts mit Laufzeit bis Anfang 2021 werden – basierend auf den bisherigen Ergebnissen der Umfrage – Optimierungsmöglichkeiten erarbeitet und durch den Einsatz digitaler Werkzeuge weitere Potenziale herausgearbeitet.

Bild: Bergische Universität Wuppertal

In den kommenden Monaten wird eine mögliche Einbindung der BIM-Methodik geprüft. Hierzu werden in einem ersten Schritt die Risikomanagementprozesse mit den übrigen Prozessen eines Bauprojekts verknüpft. Das entstehende BUW-Prozessmodell zeigt anschließend, welche Informationen aus dem Projektgeschehen wann für das Risikomanagement genutzt werden sollten. Umgekehrt wird dargestellt, welche Informationen durch das Risikomanagement für den weiteren Projektverlauf generiert werden.

Durch die BIM-Methodik soll so eine strukturierte Erfassung der Risikomanagementdaten ermöglicht werden. Mit fortschreitender Planungsgenauigkeit lässt sich die Informationsverknüpfung bis auf Bauteilebene fortführen. Die Verknüpfung der erkannten Risiken mit Bauteilen des digitalen Gebäudemodells in der Realisierungsphase fördert die Integration und dadurch die Akzeptanz des Risikomanagements. Sie visualisiert außerdem dessen Vorteile für das Projektergebnis.

Bei der BIM-Methodik wird ab Projektstart definiert, wer welche Informationen zu welchem Zeitpunkt an wen und in welcher Form zu liefern hat. Diese Informationen werden vertraglich eingefordert und kontrolliert. Das ermöglicht eine frühzeitige Betrachtung von Risiken ab der Planungsphase. Im Ergebnis erhält man eine Steigerung der Termin-, Kosten- und Qualitätssicherheit.
Die Mitarbeiter des Forschungsprojekts freuen sich über Rückmeldungen zum Thema und Unternehmen, die an einer Zusammenarbeit interessiert sind. Unternehmen, die an Einblicken in das BUW-Prozessmodell oder an Anregungen zum Risikomanagement interessiert sind, können sich gern melden: puetz@uni-wuppertal.de

 

Werden Sie Autor*in der Build-Ing.

Möchten Sie die Fachzeitschrift Build-Ing. mitgestalten?
Dann schreiben Sie uns unter der E-Mail-Adresse aldina.hasanovic@hussmedien.de!

 

Literatur

[1] Hoffmann W., Risikomanagement, Kurzanleitung Heft 4, 2. Auflage, 2017,
S. 24, Springer-Verlag, Beilingen

[2] in Anlehnung an die DIN ISO 31000:2018-10, Risikomanagement – Leitlinien (ISO 31000:2018), S. 16

© atulvermabhai/stock.adobe.com
Autoren

Carla Pütz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehr- und Forschungsgebiet Baubetrieb und Bauwirtschaft/BIM-Institut der Bergischen Universität Wuppertal. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen die Anbindung kleiner und mittlerer Unternehmen an die Methode BIM sowie die Einbindung der Methode BIM in die universitäre Lehre und Weiterbildungen. (Bild: privat)  biminstitut.de


Maike Eilers ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehr- und Forschungsgebiet Baubetrieb und Bauwirtschaft/BIM-Institut der Bergischen Universität Wuppertal. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen u. a. die Analyse und Verknüpfung des Projektrisikomanagements mit einer auf BIM-basierten Planung. (Bild: privat)   biminstitut.de


Univ.-Prof. Dr.-Ing. Manfred Helmus ist Gründungsinstitutsdirektor des BIM-Instituts und Lehrstuhlinhaber des Lehr- und Forschungsgebiets Baubetrieb und Bauwirtschaft der Bergischen Universität Wuppertal. biminstitut.de


PD Dr.-Ing. habil. Anica Meins-Becker ist Co-Institutsdirektorin des Instituts für das Management digitaler Prozesse in der Bau- und Immobilienwirtschaft/BIM-Institut. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen u. a. das prozessorientierte Informationsmanagement im Lebenszyklus von Gebäuden der Bau- und Immobilienwirtschaft. (Bild: privat) biminstitut.uni-wuppertal.de

Kommentare
  • Keine Kommentare
Diesen Artikel teilen
Anzeige
Gratis Probeheft bestellen!