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05.09.2024 | Tim Westphal

Was überwiegt, Chancen oder Risiken?

Im Exklusivinterview betonte Prof. Dr. Steffen Warmbold, das größte Risiko von KI sei, diese nicht zu nutzen. In diesem Beitrag konkretisiert Tim Westphal die Chancen und Risiken von KI und beschreibt die expliziten Vorteile für den Bausektor und deren außerordentliches Potenzial.

Dass sich die Bauwelt mitten im digitalen Wandel befindet, ist wohl in jedem Artikel zu lesen, der über die Branche in den letzten zehn Jahren geschrieben wurde. Modellbasierte Planung, integrale Planungs- und Bauwerkskoordination, Bauüberwachung mit dem Tablet oder die Baufortschrittserfassung via Smartphone sind längst alltägliche Einsatzbereiche für digitale Werkzeuge – nicht in jedem Projekt, aber in immer mehr.

In diesem Zusammenhang noch Neuland ist der Einsatz Künstlicher Intelligenz, kurz KI, im Bausektor und deren sinnvolle Nutzung für die Architekturplanung. Auch hierüber wird vor allem in den letzten zwei Jahren viel geschrieben und diskutiert.

Ohne jeden Zweifel macht sich jeder Bausoftwarehersteller Gedanken dazu, wie KI in die eigenen Anwendungen einfließen kann. Und auch Architektur- und Ingenieurbüros, Bauunternehmen und Fachhandwerksbetriebe setzen sich verstärkt mit dem Phänomen „künstliche Intelligenz“ auseinander. Denn ihre Arbeitsweise wird die KI in den kommenden Jahren massiv beeinflussen.

ChatGPT brachte die KI in unseren Alltag

Auslöser für einen wahren „Hype“ um das Thema KI war die Einführung des OpenAI-Chatbots „ChatGPT“ (GPT: Generative Pre-trained Transformer) im November 2022. Er lieferte in Echtzeit individuelle Antworten auf komplexe Fragestellungen, anhand von Milliarden von Textdokumenten aus Datenbanken und im Internet, mit denen der Bot trainiert wurde.

Die Ergebnisse waren meist intelligent formuliert, wenn auch nicht immer aktuell. Denn das Modell war nur mit Informationen „gefüttert“, die bis September 2021 Verfügung standen. Neuere Datensätze wurden darin nicht ergänzt und sind nicht in das Modell eingeflossen. Den Zugriff auf tagesaktuelle Informationen aus dem Internet ermöglichten dann aber ChatGPT 4 beziehungsweise die im Mai 2024 vorgestellte Version GPT-4o.

Die nächste Evolutionsstufe der Integration von ChatGPT in den Alltag stellt die im Juni 2024 bekanntgegebene Zusammenarbeit von Apple und OpenAI dar: Apple integriert noch im Laufe dieses Jahres ChatGPT in seine Betriebssysteme, sodass Nutzer direkt auf die Funktionen von ChatGPT zugreifen können [1]. Damit wird auch das Smartphone, Tablet oder der Laptop mit KI-Funktionen ausgestattet. Wer von uns hätte sich diese Entwicklung vor drei oder vier Jahren träumen lassen?

Vielfältige Anwendungen in kürzester Zeit

Zwei Jahre nachdem ChatGPT in allen Medien, bei vielen Unternehmen und KI-affinen Internetnutzern für maximale Aufmerksamkeit sorgte, haben sich die Produkte, die KI einsetzen, stark diversifiziert. Mit der Bereitstellung von Sprachmodellen für die individuelle Nutzung, Anpassung und Weiterentwicklung über Open Source-Plattformen, also offene Quellcodes für jeden, sind eine Vielzahl von GPT’s entstanden.

Hinzu kamen die Bezahlmodelle von Google, OpenAI, Microsoft und Co. Um es kurz zu machen: Für jeden Bereich unseres Lebens und Arbeitens gibt es erstemehr oder weniger intelligente KI-Anwendungen, die hinter immer mehr Softwaretools stehen. Manchmal merkt man das, oft aber auch nicht, wie es Internetgigant Google aktuell beweist [2].

Doch lauern auch Gefahren beim Einsatz von KI, die gesamtgesellschaftliche Rahmenbedingungen für die weitere Entwicklung von künstlicher Intelligenz erfordern. Denn wo Licht ist, ist bekanntlich auch immer Schatten. Vor allem sind es ethische Bedenken, die wie bei jeder disruptiven Technologie, herausgestellt, betrachtet und bewertet werden müssen. Der AI Act der EU ist ein erstes, international beachtetes Regelwerk zum künftigen Umgang mit KI. Weitere Regelungen im globalen Kontext müssen in den kommenden Jahren folgen.

Die Baubranche wird stark von KI profitieren

Das Potenzial von KI im Bauwesen ist zweifellos enorm. Dabei spielt es keine Rolle, an welcher Stelle in der Wertschöpfungskette Bau wir genauer hinschauen. Das belegt bereitseine Studie des Fraunhofer IAO [3] aus dem Jahr 2022: Künstliche Intelligenz unterstützt heute in allen Bereichen mit durchgängig digitalen Prozessen und datenbankgestütztem Know-how, die zu mehr Effizienz im Planungs- und Bauablauf und im späteren Gebäudebetrieb führen sollen.

Die zur Verfügung stehenden Werkzeuge sind breit gefächert, wie zum Beispiel der Fachjournalist und Blogger Eric Sturm in einem Beitrag auf seiner Homepage erläutert und zeigt. Fast 50 Tools trägt er hier zusammen [4].

Bauen bedeutet Interaktion mit realen Menschen

Anders als in der immer wieder zitierten Automobilbranche, in der Automatisierung und Robotik seit mehreren Jahrzehnten Stand der Technik und inzwischen Industriestandard sind, interagieren beim Bauen jedoch reale Menschen miteinander und nicht Maschinen mit Maschinen via Skript und Software. In der Zusammenarbeit dieser echten Protagonisten in jedem Bauprojekt bietet KI daher eher einen großen Nutzen: Erstens durch die Erleichterung eines umfassenden und schnittstellenarmen Informationsaustausches sowie zweitens durch die Unterstützung der Kommunikation in einem integralen und möglichst durchgängig digital gestalteten Arbeitsumfeld.

Die (Open-)BIM-Methode mit ihren koordinierten (fachübergreifend abgestimmten) Bauwerksmodellen, ein digitales baubegleitendes Qualitätsmanagement, digitale Mängelerfassung oder der Einsatz von Baurobotern untermauern den wachsenden Wunsch sowie die dringende Notwendigkeit, Digitalisierung, Termin- und Kostensicherheit sowie Effizienzgewinn im Bauen zu fördern. Hinzu kommt der akute Fachkräftemangel im Bausektor: Über 630.000 Fachkräfte fehlen in der Branche, wie das Institut der Wirtschaft (IW) in seinem Gutachten zur volkswirtschaftlichen Bedeutung der Bauwirtschaft [5] ermittelt.

KI-Tools verbessern den Entwurfsprozess

Wirtschaftlichkeit, Effizienz und Prozessoptimierung allein schaffen aber keine höhere Architekturqualität. Vielmehr ermöglicht dies das Zusammenspiel vieler Faktoren. So fehlt KI aktuell das Vermögen, die menschliche Identifikation mit dem Stadtraum und seinen Bauwerken, Straßen und Plätzen oder soziale Interaktion an Orten, in Gebäuden und Räumen, zu analysieren, zu bewerten und in Entwurfs- und Bauprozesse einfließen zu lassen.

Dennoch arbeiten Architekten und Fachplaner bereits mit KI. So nutzen 41 Prozent der britischen Architekten inzwischen KI zumindest gelegentlich für ihre Projekte, wie eine Umfrage des Royal Institute of British Architects (RIBA) aus dem Februar 2024 darlegt [6]. Darüber hinaus sind 43 Prozent der Architekten, die KI-Tools verwenden, der Meinung, dass sie die Effizienz ihres Entwurfsprozesses verbessert. In der Umfrage wollte das RIBA auch wissen, wofür KI genutzt wird. Die meistgenannten Einsatzbereiche sind die Automatisierung von Verwaltungsaufgaben oder die Verringerung des CO-Abdrucks von Projekten in Verbindung mit digitalen Bauwerkszwillingen.

Der Bedarf nach KI-Lösungen wächst – das Angebot ebenfalls

Der Bedarf nach relevanten Lösungen wurde auch von der Bausoftwareindustrie erkannt. So setzt Hersteller Graphisoft bei seiner BIM-Planungslösung Archicad auf ein KI-basiertes Tool, den AI Visualizer, der bei der Entwurfsarbeit unterstützt und den Architekten in kürzester Zeit eine Vielzahl von Entwurfsvarianten nach ihren Vorgaben und Vorstellungen anbietet.

Graphisoft CEO Daniel Csillag erläutert das Potenzial auch für sein Unternehmen: „Die Bereiche Entwurf und Planung sehe ich umfassend durch uns abgedeckt. Mit dem AI Visualizer für Archicad sind wir nun einen ersten Schritt in Richtung KI-Unterstützung der Architekturbüros gegangen. Wir unterstützen sie dabei, noch effizienter im Entwurf zu werden. Wenn sie sich in der Zukunft mit intelligenten KI-Systemen vernetzen – von der Entwurfsphase bis in den Gebäudebetrieb – dann können sie das Bauwesen wirklich revolutionieren!“

Weitere beeindruckende Beispiele, dass KI-Tools wie Stable Diffusion oder Midjourney in verschiedenen Phasen des Entwurfsprozesses die Planenden im Arbeitsalltag unterstützen, werden zum Beispiel auf der Plattform showitbetter vorgestellt. So setzt das international tätige niederländische Architekturbüro MVRDV bereits KI in seinen Projekten ein, wie es ein Video auf Youtube zeigt [7].

Schwindelerregendes Marktpotenzial

Neben den Großen der Bausoftwarebranche beleben aktuell viele Start-Ups in Deutschland und international die Branche, die in ihren individuellen Lösungen gezielt auf KI setzen. Es herrscht eine buchstäbliche „Goldgräberstimmung“. Denn es gibt viel Geld zu verdienen in der Baubranche, die ihre Automatisierung über viele Jahrzehnte (abgesehen von Entwicklungen wie CAD, 3D-Planung und BIM) nicht im Fokus hatte. Das soll mit KI anders werden.

Die IHK NRW hat beeindruckende Zahlen zusammengetragen, die das untermauern sollen: Basierend auf aktuellen Statista-Prognosen wird das globale KI-Marktpotenzial für das Jahr 2026 (über alle Branchen) auf 583 Milliarden US-Dollar prognostiziert (zum Vergleich: 2021 waren es effektiv noch 96 Milliarden US-Dollar), 2030 sollen es bereits schwindelerregende 1.848 Milliarden US-Dollar werden.

Einen Ausblick auf die globale Entwicklung im Bausektor wagt das amerikanische Marktforschungsinstitut Global Market Insights: Waren es 2022 noch 2,5 Milliarden US-Dollar Umsatz, geht die Prognose für das Jahr 2032 von bis zu 15,1 Milliarden US-Dollar aus. Das größte Potenzial sehen die Forscher hier vor allem in den Bereichen Projekt- und Risikomanagement, in der Bauüberwachung und im Gebäudebetrieb.

Prognose: 37 Prozent der Planungs- und Bauaufgaben kann KI automatisieren

Der Automatisierung von repetitiven Aufgaben durch KI, von denen es in Planung und Bauausführung eine Vielzahl gibt, wird im Moment das größte Potenzial eingeräumt. Damit einher gehenauch der Wegfall beziehungsweise die Rationalisierung von Aufgaben im Planungs- und Baualltag und im Gebäudebetrieb. Das prognostizierte im Frühjahr 2023 die Investmentbank Goldman Sachs. Sie geht davon aus, dass KI weltweit über alle Branchen hinweg 300 Millionen Arbeitsplätze ersetzen könnte. Goldman Sachs schätzt darüber hinaus, dass 37 Prozent der Aufgaben im Architektur- und Ingenieurwesen in den kommenden Jahren mithilfe von KI automatisiert werden könnten. Das sind aktuell nur Prognosen. Ob das alles wirklich eintritt, wird die Zukunft zeigen.

Fazit

Disruptive Technologien verändern fundamental die Art und Weise wie wir denken, arbeiten und zusammenleben. Sie verdrängen etablierte Techniken, sie setzen sich durch und entwickeln unsere Gesellschaft weiter – mit allen gebotenen Chancen, wertvollen Potenzialen und abzuwägenden Risiken. Das gilt für die KI genauso wie für die Erfindung des Internets, der Dampfmaschine oder der Glühlampe. Die in den kommenden Jahren damit verbundenen Chancen sollten wir nutzen und uns den Herausforderungen – auch für die Baubranche – stellen.

 

Chancen beim Einsatz von KI

Verbesserung der Effizienz und Produktivität: KI kann Aufgaben automatisieren, Prozesse optimieren und Vorhersagen treffen, die zu einer erheblichen Steigerung der Effizienz und Produktivität führen können.

Innovationen, Produkte und Dienstleistungen: KI kann neue Produkte und Dienstleistungen ermöglichen, die einen erheblichen Mehrwert und massive Erleichterungen für die Gesellschaft bedeuten.

Unterstützung bei der Entscheidungsfindung: KI kann große Datenmengen analysieren und Muster erkennen, die Menschen entgehen könnten. Dies kann zu besseren Entscheidungen in allen Arbeits- und Lebensbereichen führen.

Personalisierung: KI kann verwendet werden, um Produkte, Dienstleistungen und Erfahrungen an individuelle Bedürfnisse und Wünsche anzupassen, um die Zufriedenheit zu erhöhen.

Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten: KI kann Menschen mit Handicap unterstützen, alltägliche Aufgaben übernehmen oder Herausforderungen managen, die sie sonst nicht meistern können. Dies kann zu mehr Unabhängigkeit und höherer Lebensqualität führen.

Barrierefreiheit: KI kann Menschen mit kognitiven oder körperlichen Einschränkungen den Zugang zu Informationen und Diensten ermöglichen, die ihnen sonst nicht zur Verfügung stehen.

Unterstützung bei der Lösung globaler Aufgaben: KI kann eingesetzt werden, um globale Herausforderungen wie Klimawandel, Armut oder Krankheiten zu bekämpfen.

Neue Arbeitsplätze: KI wird auf der einen Seite Arbeitsplätze ersetzen, aber gleichzeitig neue Arbeitsfelder schaffen, die bisher noch nicht vorstellbar sind.

Förderung von Kreativität: KI kann Menschen bei der kreativen Arbeit unterstützen, indem sie in bei der Ideenfindung und Konzeption unterstützt oder sogar Aufgaben wie ein Brainstorming oder die Ideenfindung übernimmt.

Erleichterte Zusammenarbeit: KI-Sprachmodelle können die Barrieren zwischen Sprachen und Kulturen verkleinern. Sie sind multilingual und damit von allen nutzbar – auch, wenn nicht alle Sprachen in das jeweilige Sprachmodell einfließen.

Weitere Informationen:

• bundesregierung.de/breg-de/themen/digitalisierung/kuenstliche-intelligenz/bundesregierung-staerkt-ki-2224174, europarl.europa.eu/topics/de/article/20200918STO87404/kunstliche-intelligenz-chancen-und-risiken

• faz.net/aktuell/wirtschaft/kuenstliche-intelligenz

• zeit.de/thema/kuenstliche-intelligenz

• dfki.de/web

• acatech.de

Quellen

europarl.europa.eu/topics/de/article/20200918STO87404/kunstliche-intelligenz-chancen-und-risiken

link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-38891-1_4

 

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© Tim Westphal
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