09.01.2020 |
Stefan Kögl
An zwei Dritteln der deutschen Universitäten, die Architekten ausbilden, ist BIM kein Thema. Die Abwehrhaltung mancher Professoren ist anachronistisch und muss überwunden werden.
Architekten nehmen für sich gern in Anspruch, nonkonformistisch und besonders individuell zu denken und zu handeln. Das Kreative steht im Vordergrund. Ich weiß, wovon ich rede. Ich bin selbst einer. Doch BIM wird dieses Berufsbild grundlegend verändern, und dem muss auch die Ausbildung Rechnung tragen. Leider ist in dieser Hinsicht wenig Veränderung zu sehen.
Woran liegt das? Wie sieht das Berufsbild des Architekten, aber auch des Bauingenieurs oder Haustechnik-Spezialisten der Zukunft aus? Wie muss sich deren Ausbildung darauf einstellen? Und kann man heute diese Fragen von morgen überhaupt schon abschließend beantworten?
Beginnen wir mit einer Bestandsaufnahme. Laut Architektenkammer bieten aktuell nur gut ein Drittel aller deutschen Universitäten, an denen man Architektur studieren kann, eine Ausbildungsmöglichkeit zum Thema BIM an. Zwar gibt es auf dem freien Markt inzwischen zahlreiche – ich nenne es mal – BIM-Weiterbildungen, doch Struktur und Qualität bieten eine wenig belastbare Grundlage.
Ein Blick zurück
Um die Gesamtsituation besser einschätzen und beschreiben zu können, möchte ich einen Blick zurückwerfen. Anfang der 2000er Jahre gehörte ein junger Architekt zu meinem Team, der bereits damals alles in CAD entwarf. Ich habe zu dieser Zeit noch per Hand gezeichnet und dann erst ins CAD übertragen, weil ich das für kreativer hielt. Heute sind CAD und Planungen in 3D – auch für mich – zu einer Selbstverständlichkeit geworden. An den Unis unterrichten aber vielerorts immer noch „Skizzenpapier und Bleistift“-Professoren. Sie setzen auf ihre jahrzehntelange Erfahrung, bestimmen den Lehrstoff und haben nicht immer die Skills für die digitale Transformation, die gerade nicht nur unsere Branche revolutioniert.
Das Resultat sehen wir aktuell auf dem Arbeitsmarkt: Wir suchen beispielsweise seit fast einem Jahr einen BIM-Manager – ohne Erfolg.
Ein Blick auf heute
„Ist BIM überhaupt notwendig, um als Architekt arbeiten zu können?“, werden jetzt sicher einige von Ihnen fragen. Meine eindeutige Antwort darauf: Ja, und zwar zwingend. Viele Architekten wollen nicht sehen, dass sie mit BIM ein Mittel an die Hand bekommen, mit dem sie ihre Kunden abholen und sich besser vermarkten können. Transparent und nachvollziehbar können sie endlich ihren Auftraggebern die Logik hinter einem Bauwerk anschaulich demonstrieren.
Ein Beispiel: Mit der Siemensstadt 2.0 planen wir in Berlin einen innovativen, neuen Stadtteil der Zukunft. Der städtebauliche Wettbewerb läuft, und selbstverständlich haben wir alle Teilnehmer aufgefordert, in 3D zu planen. Die Entwürfe werden dann in ein GIS-Modell (GIS: Geoinformationssystem) integriert. Per Photogrammetrie werden so die geplanten Gebäude in einem sehr frühen Stadium in die reale Welt projiziert. Virtuell kann man sich durch den Entwurf bewegen. Im nächsten Schritt, wenn die einzelnen Gebäude per BIM geplant werden, lassen sich dann auch die notwendigen Informationen integrieren, die für eine vernetzte Stadt notwendig sind.
So planen wir heute. In Berlin wird ein ganzer Stadtteil gestaltet. Und dazu brauchen wir ein konsistentes, integrales Datenmodell. Vom ersten Tag an. Sicherlich ein kleines Stück weit, weil wir bei Siemens unserem eigenen technologischen Anspruch gerecht werden wollen. Aber ein weit größeres Stück, weil wir davon überzeugt sind, dass sich das in diesem Fall für uns auch rechnen wird.
Mit der Siemensstadt werden wir nämlich Unternehmen als Mieter ansprechen, die bereit sind, die eventuell entstehenden Mehrkosten eines total vernetzten, smarten Gebäudes zu zahlen. Weil sie innovativ denken und bereits heute verstehen, dass sich daraus auf längere Sicht für sie ein Mehrwert ergibt. Und weil damit verbundene Dienstleistungen, die wir anbieten werden, ihre Arbeit erleichtern und produktiver gestalten. Oder weil sie selbst in diesem Bereich arbeiten, forschen und ausbilden und darum auch den Anspruch an ihre Office-Flächen haben. Das ist sicherlich noch nicht überall so, aber ich bin überzeugt, dass wir die Herausforderungen der Zukunft – sei es in Bezug auf Verkehr, Umweltschutz oder Energieeffizienz – nur lösen können, wenn wir nicht nur Gebäude, sondern ganze Stadtteile oder sogar Städte digital abbilden.
Ein Blick auf morgen
Während die heutige Jugend schon nicht mehr zwischen online und offline unterscheidet, wird sich die nächste Generation ganz selbstverständlich in einem Mix aus virtueller und realer Welt bewegen. Dann brauchen wir beispielsweise keine Bushaltestellen mehr, sondern sehen auf dem Smartphone, wann und wo der nächste autonom fahrende Bus hält.
Damit all das funktioniert, brauchen wir die digitalen Modelle von Gebäuden und Stadträumen. Und da schließt sich der Kreis: Dem muss nämlich auch die Ausbildung Rechnung tragen. Sonst bildet sie am Markt vorbei aus.
Das betrifft nicht nur die einzelnen, bereits genannten Berufsbilder. Es betrifft vielmehr auch die bei uns derzeit noch typische Fragmentierung der einzelnen Berufsbilder und Gewerke. Die Planer von morgen müssen lernen, weitaus integraler zu denken, als es heute üblich ist. An der HTWK Leipzig gibt es dazu bereits eine Initiative. Dort arbeiten erstmals die Haustechnikstudenten gemeinsam mit den Bauingenieuren, Statikern und Architekten an einem integralen BIM-Modell. Das ist eine Herausforderung – fakultätsübergreifend, wenn jeder sieht, was der andere gerade macht.
Genau diese Vernetzung brauchen wir in der Lehre. Nur so können die einzelnen Spezialisten in Zukunft den Mehrwert erkennen und generieren, den ein integrales Datenmodell bietet. Bestehend aus statischen und dynamischen Daten, die man priorisieren, auswerten und nutzen kann.
Was sagt der Markt?
Ja, ich gebe Ihnen recht, wenn Sie an dieser Stelle fragen: Ist der zukünftige Mieter denn bereit, dafür eine höhere Miete zu zahlen? Wird der Investor zustimmen, dafür einen höheren Gebäudepreis zu zahlen? In unserer aktuellen Marktsituation ist das nicht unbedingt vorstellbar. Aber die technologische Entwicklung lässt sich nicht aufhalten. Smart-Homes und -Offices werden in gar nicht so ferner Zukunft zu einer Selbstverständlichkeit werden. Nicht zuletzt, weil sie uns helfen, Energie zu sparen und unseren CO2-Footprint zu optimieren. Ganz entscheidend aber auch, weil sie uns neue Möglichkeiten und Komfortvorteile bieten werden, auf die wir dann nicht mehr verzichten wollen.
Auch ich habe keine Glaskugel und kann Ihnen sagen, wie sich die Berufsbilder weiterentwickeln werden. Vielleicht werden die Datenmodelle unserer Gebäude und Städte – wie heute schon in Singapur – so umfassend, dass sie nur Informatiker erstellen können. Architekten liefern dann nur noch fachlich kreative Inhalte. Vielleicht zeichnen Architekten in Zukunft aber auch gar keine Gebäude mehr, sondern programmieren sie direkt am Computer. So wie heute schon die Gebäude in vielen Computerspielen. Eines steht jedoch fest: Die Zeiten von Skizzenpapier und Bleistift sind vorbei.
Und darauf muss sich die Ausbildung nicht nur einstellen, sie sollte sich auch an ihren Forschungsauftrag erinnern. Gerade in unserer Branche ist die Ausbildung in den vergangenen Jahren zunehmend zur Getriebenen des technologischen Fortschritts geworden. Das muss nicht so bleiben. Hier sehe ich eine enorme Chance.