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16.11.2022 | Michael Kremer

Roboter packen mit an

Robotik und digitale Tools helfen, die Effizienz und Ressourcenplanung in der Bauindustrie zu optimieren. Dabei wird ein Teil der Baustelle in die Werkhalle verlagert und die Fertigung digitalisiert.

Lieferkettenengpässe und der Arbeitskräftemangel befeuern den Baustau in Deutschland. Derzeit warten Aufträge in Höhe von mehr als neun Milliarden Euro darauf, abgearbeitet zu werden [1]. Hinzu kommen Megatrends wie der Wunsch nach Individualisierung sowie strikte Nachhaltigkeitsvorgaben für die Bauindustrie. Um diese Trends erfolgreich zu adressieren, müssen Bauprozesse effizienter, ressourcenschonender und flexibler gestaltet werden.

Eine Lösung ist die Automatisierung von Arbeitsschritten – diese ist in der Baubranche allerdings noch nicht weit vorangeschritten. Ein Grund hierfür ist, dass ein Großteil der traditionellen Bauarbeiten im Freien stattfindet. Dabei führen schwankende Witterungsverhältnisse zu Unschärfen in der Planung von Bauprojekten und können der sensiblen Elektronik in komplexen Maschinen zusetzen. Zeit- und Ressourcenersparnis, aber auch eine erhebliche Entlastung der Mitarbeitenden auf der Baustelle, verspricht an dieser Stelle die automatisierte Offsite-Fertigung.

Gut gebaut für die Zukunft

Der 1820 als Zimmerei gegründete Fertighausspezialist FingerHaus verfolgt eine modulare, automatisierte Offset-Bauweise – unter anderem bei der Fertigung von Komponenten wie Wänden. Aus dieser Methode ergeben sich mehrere Vorteile: Zum einen ist die Produktion von Bauteilen witterungsunabhängig. Darüber hinaus werden die Prozesse durch den Einsatz von Robotik und digitalen Tools effizienter und besser planbar, sodass Projekte schneller abgeschlossen werden können. Dank der hochpräzisen Bearbeitung der Materialien durch Roboter sowie durch die exakte Planung der Bauteile mit Hilfe von digitalen Tools lassen sich Ressourcen genauer planen und Abfälle minimieren.

Roboter packen an

Für die Produktion von Wänden nach Kundenmaß haben die Unternehmen BETH Sondermaschinen und der Sondermaschinenbauer Paul Köster GmbH bei FingerHaus eine automatisierte Beplankungsanlage realisiert. In dieser Anlage sorgt das Zusammenspiel von Roboter, Kamerasystem und einer Steuerungssoftware für einen reibungslosen Produktionsfluss.

Bei der Hard- und Software entschied sich der Fertighausspezialist für die Automatisierungslösungen des Robotik-Spezialisten ABB: In der Fertigung kommen ABB-Industrieroboter zum Einsatz, die Programmierung der Roboter erfolgt über die Simulations- und Offline-Programmiersoftware RobotStudio.

Bei der Wandproduktion übernehmen zwei Beplankungszellen mit einem Industrieroboter ABB IRB 6700 Pick-and-Place-Aufgaben. Der IRB 6700 ist für Traglasten von 150 bis 300 Kilogramm und für sich ständig verändernde Produktionsbedingungen geeignet – ideal für das Handling von Wandelementen in der Produktion individuell designter Häuser.

Den Roboterzellen ist eine teilautomatisierte Riegelwerkstation vorgeschaltet. Darin werden die zu beplankenden Wandteile robotergestützt montiert. In der ersten Beplankungszelle positioniert der Roboter die Planken auf das Riegelwerk und klammert diese nach einem Greiferwechsel fest. Im nächsten Schritt werden Roboter und Wand zur zweiten Beplankungszelle befördert, wo die Greifer erneut gewechselt werden. Nun legt der Roboter die Gipsbauplatten auf die Holzrahmen der Wände und befestigt sie. Schließlich werden die Wände für die weiteren Bearbeitungsschritte weiterbefördert.

Individuell und digital

Neben einer leistungsstarken Hardware stellen digitale Tools eine reibungslose Fertigung bei FingerHaus sicher. Herzstück der Offsite-Fertigung ist eine Steuerungssoftware mit Datenschnittstellen für die verschiedenen Prozessschritte. Dieses ist an ein Kamerasystem gekoppelt, welches die Lage der Holzwerkstoff- und Gipsbauplatten zuverlässig erkennt. Das Vision-System hat so die Position der einzelnen Wandplatten und gibt diese Informationen über eine von BETH entwickelte Steuerungssoftware an die Roboter. Letztere wissen so, wie sie die Fertighausteile greifen müssen.

Digitale Prozesse vereinfachen die Planung, Validierung, virtuelle Inbetriebnahme sowie die Wartung roboterbasierter Anlagen: Mit der Offline-Programmiersoftware RobotStudio können Anlagenplaner eine exakte Kopie der realen Robotersteuerung im virtuellen Umfeld erstellen. Für diese Virtual-Robot-Technologie steht innerhalb von RobotStudio eine Standardbibliothek von Simulationsmodellen der Roboter zur Verfügung. Anhand verschiedener Simulationen der Bewegungsabläufe der Roboter können Anlagenbetreiber eine Reihe von Eigenschaften wie die Taktzeit, Erreichbarkeit, mögliche Kollisionen und weitere Eigenschaften prognostizieren sowie Schnittstellen validieren.

Auch analysieren die Planer Optimierungspotenziale noch vor dem Bau der Anlage und setzen diese um. Gleichermaßen erkennen Anlagenplaner Fehler, Stillstände oder Schnittstellenprobleme vorab – und können diese bereits vor der Inbetriebnahme eliminieren. Nur wenige Parameter müssen bei der realen Inbetriebnahme nachgebessert werden. Folglich verkürzt sich die Anlaufzeit der Roboter.

Dank der flexiblen Programmierung in RobotStudio können die Roboterzellen die kundenindividuelle Gestaltung der Baukomponenten exakt umsetzen. Die Vorstellungen zukünftiger Hausbesitzender zur Platzierung von Bauelementen bis hin zu Fenster- und Türelementen werden zunächst in CAD-Modellen konzipiert. Auf dieser Basis werden die Roboterzellen in RobotStudio entsprechend eingestellt.

Nachhaltiger Hausbau

Neben der hohen Präzision, Effizienz und Varianz adressiert die Automatisierungslösung ein weiteres wichtiges Ziel der Baubranche: die Nachhaltigkeit. Im Vergleich zum Bau eines konventionellen Hauses ist die Produktion eines Fertighauses hier effizienter und ressourcenschonender. Prozessoptimierungen werden am PC durchgeführt, sodass die laufende Produktion nicht unterbrochen werden muss.

Bevor man sich für den Einsatz von Robotik entschieden hat, wurde die Fertigung der Wandelemente in der Branche noch manuell ausgeführt. „Zum Zeitpunkt unserer Entscheidung für die Automatisierung hat man in der Branche üblicherweise noch mit Nagelbrücken gearbeitet. Im Prozess wurden die Platten seinerzeit händisch aufgelegt und im Nachgang Fenster und Türen ausgeschnitten“, erinnert sich Marc Fischer, Projektbetreuer bei FingerHaus. Bei dieser Vorgehensweise fiel eine beachtliche Menge an Abfallmaterial an. Mithilfe einer digitalen bedarfsgerechten Ressourcenplanung wurden die Abfälle deutlich dezimiert.

„Im Modell können wir jedes Teil digital so im Schnittplan platzieren, dass wir nahezu keinen Verschnitt bei den Plattenwerkstoffen haben“, so Marc Fischer. Im nächsten Schritt werden die Zuschnitte der Beplankungszelle bedarfsgerecht zugeführt. Um die Nachhaltigkeit und Qualität bei der Herstellung von Fertighausteilen weiter zu verbessern, wurde mittlerweile die Beplankungsanlage um eine Schnittstelle zum CAD-System erweitert. Diese berechnet den Materialeinsatz für Befestigungsmittel je nach Bedarf und maximiert so die Stabilität und Materialeffizienz der gefertigten Bauelemente.

[1] https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2019/ 12/PD19_N012_122.html

 

Bilder
© ABB
Autor

Michael Kremer ist Vertriebsleiter Business Line General Industry bei ABB Robotics Deutschland.

new.abb.com/products/robotics/de

 

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