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10.09.2019 | Stefan Wüst

Neue Welten

BIM & Virtual/Augmented Reality

Die Nutzung neuer Technologien wie Virtual Reality und Augmented Reality erschließt dem Bauwesen neue Dimensionen der Planungssicherheit, Produktivität und Nachhaltigkeit.

Während die Baubranche immer noch zu den am wenigsten digitalisierten Industriezweigen zählt, steht das digitale Planen, Bauen, Betreiben aufgrund neuartiger Technologien vor großen Veränderungen. Innovative Plattformen, Methoden und Werkzeuge bieten bahnbrechende Möglichkeiten, Projekte zu vernetzen, zu organisieren und zu optimieren – für berechenbare, profitable und nachhaltige Ergebnisse.

BIM als intelligenter Prozess ist ein zentrales Bindeglied, um die Innovationslücke im Bauwesen zu schließen und der Branche die Möglichkeiten der Industrie 4.0 und digitaler Zukunftstrends zu eröffnen.

In diesem Beitrag wird es darum gehen, wie weit BIM über die üblichen Standards hinausgehen kann – und wie bereits vor dem Bau durch die digitale Simulation der Prozesse für die gesamte Bauphase Fehlplanungen minimiert und Mehrkosten frühzeitig erkannt und verhindert werden können. Darüber hinaus möchte ich einige¬ wichtige Werkzeuge präsentieren, um BIM und neue Technologien wie digitale Replikationen, Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) effizienter in den Bereichen Planung, Entwurf, Konstruktion und Verwaltung von Gebäuden zu nutzen.

3D bis 7D – Neue Dimensionen des intelligenten Bauens

BIM ist nicht BIM. Es hat viele Dimensionen, Anforderungen, Möglichkeiten und Auswirkungen auf die Rolle von Verantwortlichen und Teilnehmern im Bauprozess. Interessanterweise wird vorausgesagt, dass besonders der Bereich Gebäudetechnik (TGA) von der vernetzten Kollaboration profitieren wird. Einfach aus dem Grund, weil es künftig die Schnittstelle der Planung und Umsetzung von intelligenten Gebäuden darstellen wird. Das birgt große Wachstumschancen für den TGA-Bereich, der BIM noch am wenigsten zu nutzen scheint. [1]

Doch kommen wir zurück zu den verschiedenen Evolutionsstufen – beziehungsweise den BIM-Dimensionen 4D bis 7D. Hier liegen große Chancen für die Entwicklung und Weiterentwicklung des eigenen Geschäftsmodells. Das Team von Wüst Ingenieure ist heute bereits in allen sieben BIM-Dimensionen zu Hause.

  • 4D BIM – Zeit: In dieser Stufe werden Bauteilen¬ zusätzliche Informationen aus der Dimension Zeit hinzugefügt. Termindaten können direkt einzelnen Baustellen oder Baustellgruppen zugeordnet werden. Das ermöglicht eine Simulation und den direkten Abgleich des Baufortschritts auf der Baustelle über QR-Code auf dem Smartphone oder Tablet.
  • 5D BIM – Kosten: Eine weitere Evolutionsstufe, bei der dem BIM-Modell die Eigenschaften Materialien und Kosten hinzugefügt werden. Zusätzlich zu den Standard-Konstruktionsparametern sind Details wie Geometrie, Ästhetik sowie thermische und akustische Eigenschaften enthalten. So können frühzeitig fundierte Erkenntnisse über die Auswirkungen von Änderungen und Entscheidungen auf die Kosten gewonnen und verwertet werden.
  • 6D BIM – Nachhaltigkeit: Bereits in einem frühen Stadium werden Daten mit aufgenommen, die sich in einer längeren Perspektive auf den Lebenszyklus eines Objekts beziehen. Hierzu gehören Daten zu den Lebenserhaltungskosten, Abriss- und Entsorgungskosten sowie Wartung und Nachhaltigkeit. Bereits im Planungsstadium können fundierte Aussagen über später anfallende Kosten oder den Energieverbrauch getroffen werden, was eine Optimierung in der Planung und vor dem Bau ermöglicht.
  • 7D BIM – Gebäudemanagement: Hier werden der Betrieb und die Wartung für den gesamten Lebenszyklus in das Modell einbezogen und verwendet. Neben den Modelldaten werden Baustelleninformationen wie zum Beispiel Produktdaten, Wartungspläne, Garantiedaten, Fotos, Herstellerinformationen und Kontakte verknüpft und den Nutzern beispielsweise über eine Webanwendung zur Verfügung gestellt. Diese ist ebenfalls über einen QR-Code auf digitalen Endgeräten zugänglich.

Zusammengefasst: Je mehr Dimensionen ein BIM-Modell hat, desto mehr Möglichkeiten bieten sich für die nahtlose Zusammenarbeit, vorbauliche Planung und Optimierung sowie kollaborative Wertschöpfung über alle Grenzen von Gewerken und Abteilungen hinweg.

Die Realität im virtuellen Raum erleben

Ein digitaler Zwilling verkörpert ein reales Objekt in der digitalen Welt. Die Replikation ist die Verknüpfung eines virtuellen Modells (das ein Produkt aus der realen Welt darstellt) mit den Daten aus der realen Welt. Der Schlüssel zu diesem Zwilling ist die Einführung von BIM mit konsistentem, in einem 3D-Modell verankerten Datenmanagement.

Die Daten werden später im Betrieb in Echtzeit mit Hilfe von Sensoren und Schnittstellen an realen Objekten gemessen und an das virtuelle Modell geschickt. Das virtuelle Modell verhält sich so wie das Objekt in der realen Welt.

Durch Analysemethoden und künstliche Intelligenz kann der digitale Zwilling beständig an den aktuellen Bedarf angepasst und optimiert werden. Dies ermöglicht neue digitale Modelle für die Gebäudeperformance. Hierzu ist es Voraussetzung, dass der digitale Zwilling während des gesamten Lebenszyklus des Gebäudes – von der Planung bis zum Rückbau – und gemessen am ursprünglich geplanten Verhalten nachjustiert wird. Anhand der Daten kann der Zwilling bezüglich der Kosten über seinen Lebenszyklus hinweg optimiert werden.

Virtual und Augmented Reality

Die mit BIM eingeführten digitalen Planungsmethoden schaffen neue Möglichkeiten der Visualisierung¬ in der Virtual und Augmented Reality.

Durch die dreidimensionale Darstellung in der virtuellen Realität entfällt die Notwendigkeit, fehlende Informationen zu interpretieren. Damit werden Fehlerquellen beseitigt. Darüber hinaus können leicht verschiedene Varianten getestet, besprochen und Änderungen on the fly am Modell vorgenommen werden. So wird die Verständigung aller Projektbeteiligten durch einfache 3D-Visualisierung verbessert und Missverständnissen vorgebeugt.

Die Computerspieleindustrie hat die VR-Technologie in den letzten Jahren immens weiterentwickelt. Dadurch stehen uns heute kostengünstige Möglichkeiten zur Verfügung, um schnell und einfach einen ausreichenden Immersionsgrad zu erreichen. Wir brauchen lediglich eine VR-Datenbrille und die entsprechende Software. Mit wenigen Einstellungen können mit Applikationen von Drittanbietern wie Enscape, Revit Live oder Unity Reflect Ist-Zustände realitätsnah visualisiert werden.

Die Augmented Reality, also die erweiterte Realität, bietet zusätzliche Möglichkeiten der Visualisierung. Hier wird das unmittelbare Bild der Realität vor Ort am Bau mit virtuellen Informationen überlagert und durch Datenbrillen wie HoloLense, Magic Leap, DAQRI, Tablets oder Smartphones dargestellt.

Dabei können nicht nur die Daten aus dem 3D-Modell herangezogen, sondern auch Sensordaten, Grafiken, Anleitungen oder GPS-Daten eingebunden werden. Dies führt zu einer Erweiterung der Realitätswahrnehmung. Augmented Reality erschließt Bauleitern und Bauarbeitern neue Wege der Interaktion und des Echtzeit-Zugriffs auf virtuelle Daten.

Der Einsatz dieser Technologie ist allerdings kostenaufwendiger als die einfachere VR-Visualisierung. So benötigt die Hardware spezielle Kameras mit Tiefensensoren, wie sie heute immer häufiger in Smartphones zu finden sind. Für die Umsetzung der Software sind Programmierkenntnisse erforderlich. Dennoch sind die Vorteile besonders für TGA-Unternehmen nicht von der Hand zu weisen, da deren Mitarbeiter mit AR quasi durch die Wände sehen können.

Das BIM-Modell ist auf der Baustelle beständig greifbar und als immersives 3D-Abbild präsent. Die Teams auf dem Bau können mehrschichtige Informationen und eventuelle Konflikte in der Gebäudetechnik früher erkennen und dementsprechend gut informierte Entscheidungen treffen. [2] Ergebnis: Was geplant wird, wird auch gebaut.

Vorteile von Closed BIM

Grundsätzlich haben wir bei Wüst Ingenieure kein Problem mit Open BIM. Allerdings bevorzugen wir Closed BIM bezüglich der Datendurchgängigkeit und Interoperabilität der Revit/Autodesk-Programmfamilie. Der Mehrwert kommt besonders in den Dimensionen 4D bis 7D zum Tragen.
Während sich im offenen BIM-Protokoll IFC-Daten und -Attribute verlieren, ist in Revit die Datendurchgängigkeit im gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes gewährleistet. So können im Bereich 4D gleich Montagezeiten eingetragen werden, die sich auch später abrufen lassen. Das Gleiche gilt für Produktdaten, Wartungspläne, Garantiedaten, Herstellerinformationen oder Kontaktdaten zu Herstellern in 7D BIM.

Bei der Wartung können die Daten vor Ort zum Beispiel per QR-Code ausgelesen und Ersatzteile zu abrufbaren Konditionen nachbestellt werden (z. B. per E-Mail). Änderungen bei den Daten können vorgenommen werden und stehen in Zukunft zur Verfügung. Dies ist bei Revit-geschulten, eingespielten Teams und Partnern sehr gut durchführbar.

3D Modell TGA/Architektur für mobile Endgeräte im Autodesk-Viewer, über QR-Code verlinkt (Bild: Wüst Ingenieure)

In Revit können auch Betriebsdaten aus anderen proprietären System eingelesen und im digitalen Zwilling verortet werden. Bei Wüst entwickeln wir hierfür in eigener F&E-Arbeit eine Applikation. Ein gutes Beispiel dafür, dass auch der Mittelstand dazu beitragen kann, die Möglichkeiten von BIM zu erweitern und als Innovator zu agieren.

Im Revit Autodesk 360 Dashboard ist die interaktive, konsistente und partnerschaftliche Zusammenarbeit von allen Projektbeteiligten an einem Modell möglich. Dadurch kommen die Vorteile der interdisziplinären Zusammenarbeit in der BIM-Welt zum Tragen. Über Autodesk Forge können die Daten so komprimiert werden, dass sie allen Gewerken vor Ort auf Smartphone und Tablet ohne Verzögerungen zur Verfügung stehen. Es ist dann ein eingedampfter, aber vollständiger digitaler Zwilling zugänglich. Neue Technologien können so ohne Kompromisse eingesetzt werden.

Fazit

Es bestehen wenig Zweifel daran, dass sich BIM im Bauwesen durchsetzen wird – auch über die vorgegebenen Standards hinaus. Die Vorteile sind einfach zu groß. Neben der verbesserten Produktivität und Planungssicherheit können noch andere Herausforderungen gemeistert werden. Die Digitalisierung sorgt für einen effizienteren Umgang mit den Ressourcen. Viele Reisen und Fahrten werden überflüssig. Das spart Geld und verringert den ökologischen Fußabdruck.
Die Anwendung neuer Methoden und Technologien macht viele Berufe am Bau im War for Talent attraktiver. [3]

Die Möglichkeiten der dualen Ausbildung und des dualen Studiums werden erweitert. Unternehmen könne sich durch BIM besser vom Wettbewerb abheben und nachhaltiges Zukunftswachstum erschließen. Durch Präfabrikation können der Bedarf an Fachkräften auf der Baustelle und die Komplexität der Montage verringert und die Arbeitssicherheit erhöht werden.

Die BIM-Methodik entwickelt sich außerdem mit dem Internet of Things (IoT) zum vernetzten BIM. Sensoren, die mit preiswertesten Technologien am Markt verfügbar sind, können das Bauwesen auf eine ganz neue Grundlage stellen. [4] Werden sie in die globale Informationsinfrastruktur eingebaut, so können physische und virtuelle Gegenstände miteinander vernetzt werden. Sie kommunizieren und arbeiten miteinander. Innovative IoT-Geräte und Anwendungen stellen uns bahnbrechende Möglichkeiten und neuartige Datensätze zur Verfügung. Wenn wir Baustellen mit Sensoren ausstatten, können wir sie mit Technologien in der 3D-Modellierung im BIM kombinieren und die gewonnenen Daten in die Cloud verlagern.

Verknüpfung von IoT-Daten und 3D-Modell (Bild: Wüst Ingenieure)

Die Möglichkeiten der Effizienzsteigerung sind quasi unendlich. So lassen sich zum Beispiel das Leistungspotenzial von Baustellen erschließen, Zusammenhänge zwischen Mensch, Gerät und Material überblicken, mögliche Probleme vorhersehen und beheben, bevor sie entstehen, die Arbeitssicherheit erhöhen und die Effizienz einzelner Bereiche fundiert beurteilen und optimieren. Für die Installationstechnik ergeben sich neue Servicemöglichkeiten zur Diagnose, Fernwartung und Steuerung. Hard-to-Tackle-Probleme können leichter und zügiger gelöst werden. Das alles spart Ressourcen, Zeit und Geld.

Aber auch diese Entwicklung ist nur eine Stufe der weiteren Evolution von BIM. Wir stecken noch in den Kinderschuhen der Digitalisierung. Die Zusammenführung von BIM mit AR/VR, IoT, IIoT, mobilen Endgeräten, neuen Soft- und Hardwarelösungen, künstlicher Intelligenz (KI) und Blockchain [5] geben uns Instrumente der Optimierung in die Hand, die unsere Baustellen, Bauten, Städte und Landschaften intelligenter machen können.

Voraussetzung ist, dass sich Unternehmen in der Baubranche den neuen Möglichkeiten öffnen und die hiermit verbundenen Chancen nutzen. Schon heute können nicht mehr alle Projektaufgaben im Alleingang gelöst werden. Vernetzte Formen der Kollaboration schaffen neue Möglichkeiten der Wertschöpfung. Geschäftsmodelle können nachhaltiger und möglicherweise weniger anhängig von Konjunkturzyklen werden.


Quellen

[1] Vgl. die PwC-Kurzstudie „Baubranche aktuell. Wachstum und BIM.“

[2] Eine Interessante Darstellung in: https://www.autodesk.de/redshift/augmented-reality-im-bauwesen/

[3] Vgl. hierzu z. B. https://www.autodesk.de/redshift/fachkraeftemangel-im-bauwesen/

[4] https://www.autodesk.de/redshift/vernetzte-bim/

[5] https://www.springerprofessional.de/bau-software/wirtschaftsinformatik/die-blockchainin- der-immobilien-und-baubranche/16578530

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© Wüst Ingenieure
Autor

Stefan Wüst ist Geschäftsführer und Inhaber von Ingenieure Wüst, Technische Gebäudeausstattung, in Erlenbach am Main. Das Unternehmen unterhält eine Cyber-Einheit, die sich mit neuen Technologien und Methoden im Bereich TGA beschäftigt. Dank des innovativen Ansatzes nimmt Wüst unter dem Motto „Planen heißt Bauen vorwegnehmen“ eine Vorreiterrolle in der Bauwerkdatenmodellierung ein. wuestundpartner.de

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