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15.02.2024 | Felix Hermann

Klimaschutzpotenzial heben mit BIM und IFC

Die Baubranche steht in der Pflicht, ihren hohen Anteil an den Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren. Dennoch kommen Ökobilanzierungen kaum zum Einsatz, vor allem im Infrastrukturbau bleibt ein enormes Reduktionspotenzial auf der Straße. Eine neue BIM-basierte Methode nutzt den IFC-Standard, um dieses nutzbar zu machen.

80 Prozent der möglichen Emissionseinsparungen in Bauprojekten werden nicht ausgeschöpft, so die Institution of Structural Engineers (IStructE). Es ist zwar zu beobachten, dass Auftraggeber von Bauprojekten vermehrt Ökobilanzierungen (Life Cycle Assessments, LCA) nachfragen, doch selbst wenn diese erstellt werden, haben sie nur geringe Auswirkungen auf die CO-Bilanz eines Projektes. Denn häufig dienen sie nur dazu, Zertifikationskriterien zu erfüllen.

Warum werden Ökobilanzierungen also nicht häufiger genutzt, um die dringend erforderlichen Emissionseinsparungen zu erreichen? Eine Ursache liegt im hohen manuellen Aufwand, der für die Erstellung von LCAs nötig ist. Dadurch werden sie – wenn überhaupt – meist erst in späten Bauphasen durchgeführt. Zu diesem Zeitpunkt wurden jedoch bereits viele Entscheidungen getroffen, sodass nur noch ein geringes Potenzial zur Reduzierung der Umweltauswirkungen besteht.

Schwächen von LCA-Tools

Mit BIM lässt sich der Aufwand deutlich reduzieren, weil die Basisdaten für eine Ökobilanz in BIM-Modellen bereits vorliegen. Durch die automatisierte Verknüpfung von BIM und LCA vereinfachen entsprechende Tools den Prozess. Bei Großprojekten stoßen sie jedoch an ihre Grenzen: Sie können die zahlreichen BIM-Modelle und unterschiedlichen Autorenprogramme nicht, beziehungsweise nicht effizient genug, verarbeiten.

Ein weiterer Schwachpunkt ist die Visualisierung der Ergebnisse. In der Regel stellen sie die Höhe der Treibhausgas- (THG) Emissionen durch eine unterschiedliche Farbgebung von Bauwerken oder Objekten dar. Vor allem bei Großprojekten und im Infrastrukturbereich lassen sich Optimierungspotenziale so jedoch nicht klar erkennen: Verantwortliche können die entstehenden Emissionen weder im Einzelnen noch in ihrer Summe quantifizieren.

Offenheit sorgt für Effizienz und Skalierbarkeit

Eine Lösung besteht in offenen BIM-Ansätzen, die eine breitere und flexiblere Anwendung von LCAs unabhängig von proprietären Datenaustauschformaten ermöglichen. Eine solche Methode wurde in einem Forschungsprojekt von AFRY in Zusammenarbeit mit der HTWK (Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig) entwickelt: BIMetrix nutzt den IFC-Standard und ist damit nicht an eine spezifische Software gebunden sowie für alle Projekte und Bereiche der Baubranche anwendbar. Die Methode unterscheidet sich von anderen aktuell verfügbaren durch den hohen Automatisierungsgrad der BIM-basierten Ökobilanzierung und die nahtlose Integration von BIM-, GIS- (Geografische Informations- Systeme) und LCA-Daten. Dadurch lassen sich Ökobilanzierungen nicht nur erheblich schneller durchführen als mit anderen marktüblichen Tools, die Ergebnisse werden auch im Modellkontext dreidimensional visualisiert.

BIMetrix ist auf verifizierte IFC-BIM-Modelle mit ausreichender Detailgenauigkeit anwendbar, in der Regel liegen diese ab Ende der Leistungsphase 2 vor. Die Methode eignet sich für alle nachfolgenden Phasen sowie alle Bereiche und Projektgrößen der Baubranche unabhängig von proprietären Datenaustauschformaten und ist konform zu den europäischen Normen für Ökobilanzen EN 15978 und EN 15804.

In der Praxis bewährt

BIMetrix wurde bereits in realen Großprojekten der Schieneninfrastruktur mit mehr als 300 BIM-Modellen getestet und validiert. Die Methode hat alle Modelle automatisiert analysiert, THG-Emissionen ermittelt und visualisiert. Die Ergebnisse waren im Wesentlichen identisch mit denen marktüblicher BIM-basierter LCA-Tools. Die Unterschiede: BIMetrix benötigte nur einen Bruchteil der Bearbeitungszeit und lieferte detaillierte 3D-Visualisierungen.

Gemeinsam mit der DB Netz AG hat AFRY Deutschland auf Basis von BIMetrix außerdem eine Strategie einer BIM-basierten Ökobilanzierung über alle Leistungsphasen hinweg als Baustein zur „Railmap klimaneutrale Schieneninfrastruktur“ entwickelt. AFRY Deutschland nutzt die Methode regelmäßig zur Auswertung von Planungen.

Funktionsweise

BIMetrix besteht aus den Teilprozessen semantische und geometrische Verarbeitung von BIM-IFC-Modellen, Berechnung des Treibhauspotenzials, Integration von Daten aus GIS sowie Visualisierung der Ergebnisse. Diese laufen automatisch ab, in der aktuellen Version wird hierfür die ETL- (Exchange, Transform, Load) Software FME Workbench genutzt.

Im ersten Schritt, der semantischen Analyse, werden die Daten aus den IFC-Modellen mit Umweltproduktdeklarations-Daten (EPDs, Environmental Product Declaration) aus Ökodatenbanken verknüpft. So werden jedem IFC-Objekt seine Wirkungsindikatorwerte zugeordnet, zum Beispiel die durch das Objekt verursachten THG-Emissionen.

Um den hohen Automatisierungsgrad zu erzielen, kommt künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz: Ein LLM (Large Language Model) von OpenAI wurde mit Daten aus zahlreichen realen Großprojekten trainiert, sodass die KI die Mapping-Strings den entsprechenden EPDs aus Ökodatenbanken zuordnen kann. Obwohl diese Zuordnungen aktuell noch manuell überprüft werden müssen, liegt die Zeitersparnis im Vergleich zu anderen Methoden bei rund zwei Dritteln. Ziel der Weiterentwicklung ist die vollständige Automatisierung.

Bei der geometrischen Verarbeitung werden die IFC-Modelle in ein Raster von drei mal drei Metern zerteilt. Das ermöglicht, Umwelteinwirkungen lokal im Detail zu bestimmen und sowohl innerhalb eines Modells als auch zwischen unterschiedlichen Modellen zu vergleichen. Zudem legt dies die Basis für die Berechnung der Treibhauspotenziale der BIM-IFC-Modelle.

Um auch raumbezogene Informationen in die Ökobilanzierung einzubeziehen, werden GIS-Daten integriert. Das ist vor allem in frühen Planungsphasen wichtig, wenn diese Daten in der Regel nicht zur Verfügung stehen. Über die Koordinaten der Teilmodelle lassen sich zum Beispiel mit Hilfe von Bodenkarten die Bewegungen von Erdmassen oder die nötigen Transportwege für Materialien bilanzieren. Dadurch können beispielsweise in Ausschreibungen Empfehlungen gegeben werden, welcher Radius für den Bezug von Materialien nicht überschritten werden sollte, um bestimmte Umwelteinwirkungen einzuhalten.

Nur was man sehen kann, kann man optimieren

Für die Visualisierung der Ergebnisse generiert BIMetrix ein dreidimensionales Modell, bei dem das Treibhauspotenzial für jedes BIM-Teilmodell, also für jedes drei-mal-drei-Meter-Raster, als Säule dargestellt wird. Die Modelle können in einem IFC-Koordinationsmodell oder ArcGIS im Kontext der ursprünglichen Modelle visualisiert werden. Gestapelte Säulen zeigen die Treibhauspotenziale der verschiedenen LCA-Phasen. Damit wird auf einen Blick sichtbar, in welcher Phase wo genau Emissionen in welcher Höhe entstehen. Die Darstellung ist dynamisch, sodass Verantwortliche sich interaktiv damit auseinandersetzen können, welche Strukturen, Komponenten und Materialien am meisten zu den Emissionen beitragen und wie sich diese reduzieren lassen. Je nachdem, für wen die Visualisierung bestimmt ist, lassen sich mehr oder weniger Informationen einblenden.

Mit diesen Vorteilen erleichtert es die Methode Bauingenieuren vor allem in Großprojekten, die Potenziale zur Reduzierung von THG-Emissionen zu erkennen und zu nutzen. Sie wird stetig weiterentwickelt, um noch besser zu einer effizienteren und nachhaltigeren Baubranche beizutragen.

1 „How to calculate embodied carbon“, The Institution of Structural Engineers, 2022

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Bilder
© AFRY
Autor

Felix Hermann, BIM Engineer, Sustainability Head BU Transportation Germany bei AFRY, beschäftigt sich seit rund drei Jahren intensiv mit der Verknüpfung von BIM und LCA. Im Zuge seiner Masterarbeit an der HTWK (Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig) entwickelte er BIMetrix, die Methode wird seitdem im Unternehmen kontinuierlich weiterentwickelt.

afry.com/de-de

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