30.08.2024 |
Aude Camus, Senior Product Marketing Manager bei Bentley Systems
Schutz einer Welterbestätte
Als eines der bedeutendsten architektonischen und historischen Bauwerke der Welt und eine der heiligsten katholischen Pilgerstätten ist der Petersdom ein ikonisches Wahrzeichen, das jedes Jahr Zehntausende von Pilgern und Touristen anzieht. Die von Michelangelo und Gian Lorenzo Bernini entworfene und über einen Zeitraum von mehr als einem Jahrhundert errichtete Basilika ist eines der berühmtesten Werke der italienischen Renaissance- und Barockarchitektur und die größte Kirche der Welt, gemessen am Innenraum. Seit der frühchristlichen Zeit wurden hier viele Päpste beigesetzt, und sie ist eine der sieben Pilgerkirchen Roms.
Italferr wurde von der Dombauhütte von St. Peter, einer Einrichtung der römisch-katholischen Kirche, die für die Erhaltung und Instandhaltung der Basilika zuständig ist, mit der Erstellung eines digitalen Zwillings des Bauwerks beauftragt. Der Auftrag umfasste die Kartierung und Analyse aller Komponenten des Gebäudes für eine ständige bauliche Überwachung in Vorbereitung des bevorstehenden Jubiläums im Jahr 2025. Das Projekt hatte zwei Hauptziele: 1) Die Erstellung eines digitalen Zwillings mit allen im Laufe der Jahrhunderte gesammelten Informationen über die Basilika und 2) die Einführung eines Überwachungssystems mit digitalen Methoden und Anwendungen, um den Erhalt dieses außergewöhnlichen Bauwerks zu gewährleisten.
Nach seiner Fertigstellung wird der digitale Zwilling eine wichtige Ressource für die Bewahrung eines einzigartigen architektonischen und religiösen Erbes für die Welt sein. „Durch den Einsatz hoch entwickelter Algorithmen wird es möglich sein, die Auswirkungen statischer und dynamischer Belastungen auf das Bauwerk zu analysieren, eingehende Kenntnisse über den Zustand der baulichen Strukturen zu erhalten und ein System zur permanenten Überwachung der Strukturen zu entwickeln“, sagte Daniela Aprea, Director, Technology Innovation, Digital Spoke & Digital Rail Infrastructure Development bei Italferr. Die Daten des Sensornetzes werden auch in einen digitalen Zwilling integriert, und die verarbeiteten Informationen werden mit der Dombauhütte von St. Peter für die künftige Wartung und Verwaltung der Basilika geteilt.
Die Suche nach effektivem Datenmanagement
Aufgrund der historischen und religiösen Bedeutung dieses Bauwerks musste Italferr sicherstellen, dass ein digitaler Zwilling der Basilika so genau wie möglich ist. Dies erforderte jedoch umfassende Vermessungen. In einem ersten Schritt führte Italferr eine geometrische Vermessung des vorderen Bereichs durch. Da die Basilika in den 1600er-Jahren erbaut wurde, muss sie genau auf Anzeichen von Verfall oder Beschädigung überwacht werden.
„Das Ziel in dieser Phase war die Rekonstruktion eines digitalen Modells unter Verwendung von Punktwolken und Fotos, um die Abmessungen der wichtigsten architektonischen und strukturellen Elemente zu bestimmen und Informationen darüber zu erhalten, was [mit den bisherigen Vermessungsmethoden] nicht zugänglich ist“, so Aprea.
Allerdings führte dieser Prozess zu einer großen Menge an Daten, die verwaltet und zu einem Reality Mesh verarbeitet werden mussten, sowie zu einer gemeinsamen Nutzung durch verschiedene Fachbereiche und Interessengruppen für die weitere Überwachung. Am Ende dieser Phase hatte das Team mehr als drei Terabyte an Daten für eine Fläche von 65.000 Quadratmetern in der Grundfläche und 240.000 Quadratmetern vertikaler Flächen erfasst. Zur Bewältigung dieser Herausforderungen bei der Datenverwaltung innerhalb von sechs Monaten benötigte Italferr eine integrierte und offene 3D-Modellierung und Technologie für digitale Zwillinge.
Erstellung eines digitalen Zwillings für ein historisches Wahrzeichen
Da Italferr bereits mit Anwendungen von Bentley vertraut war, entschied sich das Unternehmen für ProjectWise, iTwin Capture Modeler (ehemals ContextCapture) und MicroStation, um die aus mehreren Quellen stammenden Daten zu verwalten und einen digitalen Zwilling zu erstellen, der von 30 Beteiligten gemeinsam genutzt wird.
Für die Verwaltung der großen Datenmengen und die Förderung der gemeinsamen Nutzung und Zusammenarbeit setzte das Team auf ProjectWise. Damit wurde eine Plattform für die gemeinsame Nutzung von Daten und die Zusammenarbeit geschaffen, die allen Projektbeteiligten zugänglich war. Die Nutzer der Plattform konnten auf Vermessungsdaten sowie auf Geometrie-, Informations- und Analysemodelle zugreifen. „ProjectWise war funktional strukturiert, mit Arbeitsabläufen und Übergängen zwischen verschiedenen Phasen, die durch wöchentliche Koordinationstreffen und Überprüfungen ergänzt wurden. Alle Beteiligten verfügten über Anmeldeinformationen und Berechtigungen, um sicherzustellen, dass die Arbeitsvorgänge nachverfolgt wurden und die erforderlichen Informationen für ihre jeweilige Rolle im Projekt verfügbar waren“, so Aprea.
Sobald die Informationen an einem zentralen Punkt gespeichert waren, verarbeitete und verwaltete Italferr die Punktwolken mit iTwin Capture Modeler. Das Team erstellte ein vollständig navigierbares 3D-Modell im korrekten Maßstab und mit den richtigen Größenverhältnissen, messbar durch lineare Längen, Flächen und Volumen. Das 3D-Modell wurde außerdem mit demselben System georeferenziert, das auch von gängigen mobilen Geräten für die Geolokalisierung verwendet wird.
„Mit der Verwendung von iTwin wurde der Grundstein für die Implementierung des digitalen Zwillings gelegt“, sagte Aprea. Durch die Kombination der in ProjectWise zentral gespeicherten Datenquellen mit dem einheitlichen Reality Mesh war das Team in der Lage, einen digitalen Zwilling zu entwickeln, um Änderungen in Echtzeit anzuzeigen und vorzunehmen. Darüber hinaus konnte das Team spezifische Modelle erstellen, die anschließend über Multimedia-Plattformen ausgetauscht werden konnten.
„Die Erstellung des digitalen Zwillings erforderte umfangreiche Vermessungsarbeiten unter Einsatz modernster Technologien wie Topografie, Laserscanning, Luftbildfotogrammetrie mit Drohnen und Georadar“, so Aprea. „Dank dieser Verfahren war es möglich, ein vollständiges Modell des Bauwerks zu erstellen, da aufgrund der Geschichte der Basilika keine umfassenden Zeichnungen mit allen Informationen zu den Räumen, Aufrissen, Wandstärken, Böden und Gewölben verfügbar waren.“
Digitalisierung im Vatikan
Durch die Arbeit in einer kollaborativen digitalen Umgebung konnte Italferr 50 Arbeitsstunden für die Modellierung einsparen und das Modell 20 Tage früher als geplant der Dombauhütte von St. Peter zur Verfügung stellen. Nach Schätzungen des Teams konnten durch die Digitalisierung 200 Arbeitsstunden für das Projekt eingespart werden.
„Die Umsetzung des digitalen Zwillings des Petersdoms war ein anspruchsvolles Projekt, sowohl in Bezug auf den Zeitaufwand als auch auf die Komplexität [...]. Mithilfe der Lösungen von Bentley konnten nicht nur die Prozesse für die gemeinsame Nutzung und Zusammenarbeit, sondern auch die Prozesse für die Modellierung optimiert werden“, so Aprea.
Der Einsatz eines digitalen Zwillings erwies sich als effizienter Weg, um Informationen mit den Interessengruppen zu teilen, und steigerte die Effizienz des Datenaustauschs um 75 % im Vergleich zu klassischen Anwendungen für den Austausch. Zudem wurde die Anzahl der Inspektionen vor Ort um 75 % reduziert, da die Beteiligten die Vermessungsdaten einsehen konnten, ohne ihr Büro verlassen zu müssen.
Vielleicht noch wichtiger ist jedoch die Tatsache, dass dieser digitale Zwilling als einzigartige Informationstechnologie dient, die die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Bauwerks aufzeigen wird. Dadurch kann die Dombauhütte von St. Peter das Wahrzeichen über Jahre hinweg überwachen und instand halten. „Die Einführung eines Bauwerksüberwachungssystems für den Petersdom ist nicht nur in technischer, sondern auch in gesellschaftlicher Hinsicht von außerordentlichem Wert, da es die volle Funktionalität des Bauwerks, das das Herzstück des christlichen Glaubens weltweit ist, auch in den kommenden Jahrzehnten erhalten wird“, so Aprea.
Projektübersicht
Unternehmen: Italferr S.p.A.
Lösung: Vermessung und Überwachung
Standort: Vatikanstadt
Projektziele:
• Erstellung eines digitalen Zwillings mit allen Informationen, die im Laufe der Jahrhunderte gesammelt wurden.
• Implementierung eines Überwachungssystems zum Schutz und Erhalt der Basilika.
Projektspezifisches Playbook: iTwin, iTwin Capture, LumenRT, MicroStation, OpenBuildings, OpenCities, ProjectWise