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15.09.2021 | Interview: Roland Pawlitschko

„Im FM haben Kosten zwei Beine“

BIM und FM – ein ideales Paar. Andreas Wokittel, Mitglied der Geschäftsleitung von SPIE Deutschland & Zentraleuropa, spricht im Interview über die enormen Vorteile von BIM für FM – und über die deutschen Bremsklötze.

Technisches Facility Management (FM) beinhaltet bei SPIE ein sehr breit gefächertes Aufgabenfeld. Neben dem Betreiben von Gebäuden umfasst es unter anderem auch die Planung der technischen Gebäudeausrüstung (TGA). Auf welche fachlichen Kompetenzen können Sie hausintern zurückgreifen?

Grundsätzlich kümmern wir uns im technischen Facility Management um alle technischen Anlagen im Objekt. Für unsere Kunden verfügen wir z. B. über eine technische Leitwarte, die eine permanente Ansprechbarkeit und die ständige Verfügbarkeit von Fachpersonal zur Behebung von Störungen garantiert. Wir bieten aber auch Services zur technischen Instandhaltung an, etwa für periodisch wiederkehrende oder gesetzlich vorgeschriebene Prüfungen von technischen Anlagen. Hinzu kommen Ingenieurleistungen mit CAD- und CAFM-Planungen – für Neu- und Umplanungen. Vermehrt müssen auch Bestandspläne auf den neuesten Stand gebracht werden, um z. B. behördliche Genehmigungen zu erreichen.

Ein wesentliches Thema unserer Leistungsbereiche betrifft die Energieeffizienz neuer und vorhandener technischer Anlagen. So bieten wir Beratungen und Planungen für Messsysteme und Energieinfrastrukturen an. Wir führen auch Simulationen zur Optimierung von Energieverbräuchen und -kosten durch. Für diese Aufgaben beschäftigen wir Mitarbeitende aus sämtlichen klassischen Handwerks- und Ingenieurberufen. Was wir angesichts der zunehmend digitalen Regelungstechnik in den vergangenen Jahren immer mehr brauchen, sind Softwareingenieure, die aus wiederkehrenden mechanischen Prozessen IT-Abläufe generieren. In diesem Zusammenhang schätzen wir insbesondere duale Studierende, die zugleich über praktische Fähigkeiten und IT-Kenntnisse verfügen.

Beste Voraussetzungen also für die Verknüpfung von BIM und FM?

Ich bin davon überzeugt, dass Facility Manager im Prinzip zu den größten Nutznießern von BIM zählen. Ich sage deshalb „im Prinzip“, weil BIM noch nicht überall im FM-Alltag angekommen ist. Aktuell gibt es leider nur sehr wenig FM-Leuchtturmprojekte, die das ganze Potenzial von BIM und der Digitalisierung nutzen, das sich z. B. ergibt, wenn technische Anlagen von Anfang an mit den richtigen Sensoren und Akteuren ausgestattet sind. Doch leider endet BIM allzu oft in der Bauphase. Den Bauherren ist oft nicht bewusst, welche Attribute hinterlegt werden sollten und was mit ihnen möglich wäre. Dabei benötigen wir lediglich zehn Prozent der während der Planungs- und Bauphase erzeugten Daten, um ein Gebäude energieeffizient und rechtssicher betreiben zu können.

Um welche Daten geht es dabei konkret?

Uns interessieren beispielsweise nicht die Zahlen zur Betonzusammensetzung oder Stahlgüte, wohl aber, welche Tragkraft ein Estrich hat und wo genau welche Leitungen liegen. Jede Anlage hat bestimmte Attribute, die zum Betreiben wichtig sind. Bei Aufzügen wären das beispielsweise maximale Lasten sowie Abmessungen der Kabinen und Türöffnungen, damit jederzeit klar ist, welche Objekte sich damit transportieren lassen. Bei Leuchtmitteln sind Angaben zu Fassungen, Leistungen, Einbausituationen oder Lichtfarben interessant. Für die Art und den Umfang der Daten gibt es diverse Standards, wie z. B. die Richtlinien aus der BIM-Reihe der VDI 2552, die darüber Auskunft gibt, wie Daten strukturiert sein müssen oder welche Mindestanforderungen gelten.

Wie sieht bei Ihnen ein typischer Projektstart aus, wenn es keine BIM-Modelle gibt?

Wenn wir eine FM-Ausschreibung für ein nicht BIM-basiertes Gebäude bekommen, dann gibt es in der Regel zunächst einmal eine Start-up-Phase, in der wir nichts anderes machen, als zu zählen und Daten aufzunehmen: Wie viele Brandschutzklappen oder -türen gibt es? Wann sind die Anlagen zuletzt gewartet worden? Gibt es offene Reparaturen? Wie viele Heizkörperthermostate oder Volumenstromregler gibt es? Wann wurden sie zuletzt eingestellt?

Das gestaltet sich häufig schwierig, weil oft nicht mal die gleichen Geräte immer gleich bezeichnet sind. Also erhalten alle vorgefundenen Anlagen einen Barcode, und es werden unzählige Listen erstellt, damit eine Auswertung und rechtssichere Steuerung überhaupt erst möglich werden. Anschließendes Ziel ist eine Jahres-Serviceplanung mit Angaben darüber, was wann wo gemacht werden muss, damit z. B. sämtliche Gesetze eingehalten werden und wir unseren Kunden Rechtssicherheit gewährleisten können. Diese Start-up-Phase gibt es selbst dann, wenn wir Neubauten übernehmen. Das ist leider die Praxis. Liegen zur Übergabe digitale Dokumente vor, geht es dabei in den meisten Fällen nicht um BIM-Modelle, sondern manchmal tatsächlich noch um CDs mit Dokumenten in den unterschiedlichsten Dateiformaten.

Welche Unterlagen werden Ihnen in diesen Fällen zur Verfügung gestellt?

Typischerweise erhalten wir 2D-Zeichnungen, vielleicht auch mal das Tragwerk in 3D und die TGA in 2D. Wir sind gesetzlich nicht verpflichtet, daraus ein BIM-Modell zu machen. Dies im Nachhinein zu erstellen, würde bedeuten, das ganze Gebäude einschließlich der TGA in 3D aufzunehmen. Das ist unmöglich, denn die meisten technischen Komponenten liegen nicht sichtbar hinter Wänden, Decken und Böden verborgen. Wir müssten sie also von Hand aufnehmen und einarbeiten. In der Regel gibt es bei diesen Plänen keine inhaltlich vollständig richtigen Datensätze, sondern einzelne Pläne der verschiedenen Gewerke, die nicht selten lückenhaft sind oder nicht den allerletzten Stand darstellen.

Wie häufig kommt es vor, dass Sie ein brauchbares BIM-Modell erhalten? Und was wäre damit im Idealfall möglich?

Ich schätze, dass dies in nur fünf Prozent unserer Aufträge der Fall ist. Wenn wir einen digitalen Zwilling sowohl des Rohbaus als auch der TGA hätten, könnten wir z. B. mit einem Laptop oder einer VR-Brille durchs Gebäude gehen und wüssten, wenn es irgendwo aus der Decke tropft, welche Leitungen dafür als Verursacher infrage kommen. Stattdessen müssen wir heute die Decke aufreißen und mühsam herausfinden, welche Leitungen zu welchen Anlagen gehören. Außerdem könnten wir den Nutzern wesentlich mehr Analysewerkzeuge bieten und auch unsere Nachunternehmer besser steuern, weil wir genau wüssten, wann wir sie wohin schicken müssen. Und wenn die Daten richtig hinterlegt sind, haben wir bei allen Arbeiten auch Angaben zur Qualifikation des Servicepersonals. Damit können wir unsere Monteure zeitlich besser einteilen.

Darüber hinaus wüssten wir jederzeit, welche Anlage wie viel Energie verbraucht und welche äußeren Einflüsse oder welche Nutzerverhalten sich wie auf den Energieverbrauch auswirken, um daraus Vorschläge für Optimierungen zu entwickeln. Und wir wären auch schneller in der Wartung und Instandhaltung, weil wir z. B. schneller in Erfahrung bringen könnten, welche Leiterlänge oder welches Leuchtmittel man aus welchem Lager braucht. Sobald Sensoren einen Defekt melden, könnten wir zielgerichtet schneller und qualitativ besser agieren.

An welchen Stellen wären solche Sensoren hilfreich?

Das kann man nicht verallgemeinern, das hängt vom jeweiligen Nutzer ab. Denkbar wären etwa Brandschutzklappen mit RFID-Chips, die sich melden, wenn Handlungsbedarf besteht – z. B. für eine jährliche Prüfung oder bei einem Defekt. Wir Betreiber mögen Sensoren, die uns helfen, Abweichungen schneller zu detektieren, z. B. abweichende Temperaturen, Wasser- und Füllstände, Verunreinigungen, Öffnungs- und Schließzustände.

Mit Sensoren könnte auch die Gebäudereinigung viel effizienter verlaufen. Manche Räume bleiben in Zeiten von Pandemie und Homeoffice ungenutzt, werden aber mehrmals pro Woche gereinigt. Warum? Es wäre ein Leichtes, die Zutrittsdaten zu den Räumen oder die Nutzungszeit der Deckenleuchten auszuwerten, um die Räume nur noch dann zu reinigen, wenn sie tatsächlich jemand genutzt hat.

Reinigungskosten machen fast 50 Prozent der Betriebskosten aus. Für mich gilt da der alte Leitsatz: „Im FM haben Kosten zwei Beine“. Mit anderen Worten: Alle Aktivitäten, bei denen Menschen beteiligt werden, sind zwangsläufig teuer. Dabei könnte man das Personal mit einem Tablet durchs Gebäude schicken und über die Gebäudeautomation jene Räume anzeigen, in denen es etwas zu tun gibt. Es befinden sich heute einfach zu wenig Sensoren an den richtigen Stellen, die automatisch intelligente Daten liefern. Und es gibt zu wenige Verknüpfungen zwischen Zutrittsdaten und Energiedaten. Da geht viel Energieeinsparpotenzial verloren.

Ist ein solches ideales FM mit den heute vorhandenen Mitteln der Sensorik möglich, oder handelt es sich dabei noch um Zukunftsmusik?

Es gibt einzelne Leuchtturmprojekte, die vieles von dem möglich machen, was ich gerade beschrieben habe. Ich möchte aber nicht verhehlen, dass man nicht überall alles braucht. Es kommt vielmehr darauf an, was für die jeweiligen Kunden sinnvoll ist. Ein Asset-Tracking* ist sicher nur bei großen Liegenschaften sinnvoll, oder dort, wo es um wirklich wichtige Assets geht – etwa bei kostspieligen Mikroskopen im Labor eines Pharmakonzerns.

Sensoren kommen häufig vor allem aus zwei Gründen nicht zum Einsatz: Wegen ungelöster Datenschutzfragen und wegen unseres in vielen Punkten nicht zeitgemäßen Vergaberechts. Das Vergaberecht belohnt allzu oft nicht die besten Lösungen im Sinn der Lebenszykluskosten, sondern den niedrigsten Preis. Wenn nicht regelbare Pumpen günstiger sind als regelbare, dann erhalten eben Erstere den Zuschlag. Hinzu kommt eine ungünstige Verkettung von Zuständigkeiten: Wer Projektentwicklungen macht, plant nicht. Wer plant, baut nicht. Wer baut, besitzt nicht. Wer besitzt, nutzt nicht. Und wer nutzt, betreibt nicht.

Daraus resultieren unzählige Informationsverluste und ein fehlendes Verantwortungsgefühl. Vermietern ist es egal, wie hoch die Nebenkosten sind, weil sie von den Mietern getragen werden. Begeistert von BIM und der Digitalisierung sind heute vor allem jene Kunden, die die Gebäude, die ihnen gehören, selbst langfristig nutzen. Der Grund: Sie profitieren selbst direkt von (Energie-)Effizienzsteigerungen und Einsparungen und spüren jeden Euro.

Welchen Lösungsansatz sehen Sie für dieses Dilemma?

Ich mache mich jetzt sicher unbeliebt: Energie müsste teurer werden. Und der Gesetzgeber muss klarere Leitlinien vorgeben. In der Schweiz beispielsweise muss der Energieverbrauch in Unternehmen jährlich um fünf Prozent sinken. Außerdem werden dort Energieberater bezahlt, wenn die von ihnen vorgeschlagenen Verbesserungsmaßnahmen tatsächlich umgesetzt werden. In Kanada erhalten Mieter für alle haustechnisch-energetischen Einsparungen, zu denen sie durch ihr Verhalten beitragen, eine finanzielle Entlastung. Hierzulande wird man für mehr Stromverbrauch sogar belohnt, weil der Strompreis bei steigendem Verbrauch sinkt.

SPIE ist nicht nur in Deutschland, sondern in vielen europäischen Ländern tätig. Wo läuft das Zusammenspiel zwischen BIM und FM besser als in Deutschland?

Zum Beispiel in der Schweiz. Dort sind gesetzliche Anforderungen schärfer formuliert und und reichen tiefer in die Praxis hinein. Hierzulande können einzelne Anlagen eines Gebäudes jeweils tadellos arbeiten. Dennoch funktioniert das Gebäude als Ganzes nicht, weil die Anlagen nicht zusammenspielen. In der Schweiz ist das nicht möglich, weil es eine integrierte Bauabnahme gibt, die in Deutschland nicht vorgeschrieben ist. Außerdem müssen die Planungsbeteiligten dort bis zu vier Wochen nach Gebäudeübergabe zur Verfügung stehen, um die Nutzer in das Gebäude einzuweisen und um sicherzustellen, dass auch wirklich alles funktioniert. Und auch Großbritannien ist in Sachen BIM weiter als wir, weil der Staat schon vor zehn Jahren viel striktere gesetzliche Vorgaben gemacht hat, während die vielen Interessenverbände bei uns noch immer ihre eigenen Süppchen kochen.

Ab welcher Objektgröße lohnt sich die Koppelung von BIM und FM?

Hemdsärmelige Lösungen sind überall dort sinnvoll, wo es um Gebäude geht, bei denen man selbst den Überblick besitzt. Geht es allerdings um mehrere und womöglich große Gebäude an verschiedenen Standorten mit vielen Verantwortlichen und wechselnden Nutzungen, dann lohnen sich BIM-Modelle im FM immer. Das trifft wahrscheinlich auf 85 Prozent der Gebäude zu. Man muss ja auch nicht alles sofort machen, sondern kann am Anfang festlegen, welche Komponenten man nutzen will. Über intelligente Daten zu verfügen, ist jedoch immer von Vorteil. Wichtig ist, dass ein 3D-Gebäudemodell vorliegt und darin auch Daten hinterlegt sind, z. B. in der Kombination von AutoCad und Revit.

Zu welchem Planungszeitpunkt sollten Betreiber idealerweise involviert werden?

Energie- und Kosteneffizienz sowie Rechtssicherheit sind die wichtigsten Kriterien, die Facility Manager zu erfüllen haben. Wenn die Kunden richtig Geld sparen wollen, dann nehmen sie uns gleich bei der Beauftragung ihrer Planer mit ins Boot. Denn während die Bauarbeiten meist in wenigen Jahren abgeschlossen sind, dauert der Betrieb eines Gebäudes gut und gern ein halbes Jahrhundert. Alle zu Planungsbeginn begangenen Fehler lassen sich später nicht mehr ohne weiteres beheben.

Wenn beispielsweise Luftauslässe an der Decke liegen, dann wird die warme Luft nach oben steigen und von dort mit der kühleren Luft wieder nach unten gedrückt. Dieses Lüftungsprinzip verbraucht gut 30 Prozent mehr Kühlleistung als das Einbringen von leicht temperierter Luft am Boden, die beim Erwärmen auf natürliche Weise nach oben steigt. FM-Berater, die von Anfang an dabei sind, können Erfahrungen wie diese gleich zu Planungsbeginn einbringen und so zum Sparen beitragen. Leider kommen wir meist erst dann dazu, wenn die Häuser schon fertig sind.

Wie häufig werden Sie als Betreiber in einer frühen Planungsphase hinzugezogen?

Das sind kaum mehr als zwei Prozent. Auch hier sollte der Gesetzgeber eingreifen. Wenn wichtige Klimaziele erreicht werden sollen, dann müssen FM- und Energiespezialisten bereits im Planungsstadium involviert sein. Für gute Ergebnisse braucht man eine gute Planung, und leider ist es so, dass sich kaum etwas bewegt, solange das nicht gesetzlich gefordert wird. Dass sich der Markt entlang der rechtlichen Vorgaben zum Positiven weiterentwickelt, lässt sich an Beispielen wie dem Ersatz der konventionellen Glühlampen durch LEDs und der Entwicklung von E-Autos ablesen. Beide Bereiche wären ohne gesetzliche Regelungen heute längst nicht da, wo sie jetzt stehen.

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Autor

Andreas Wokittel studierte Energie- und Wärmetechnik sowie technischen Umweltschutz in Gießen. Von 1985 bis 2009 war er in verschiedenen Führungspositionen in der TGA-Branche tätig. 2009 wechselte er in die FM-Branche. Seit 1. November 2018 leitet er den Geschäftsbereichs Building Technology & Automation bei SPIE Deutschland & Zentraleuropa. In dieser Funktion wurde er Mitglied der Geschäftsleitung. (Bild: SPIE DZE GmbH) spie.de

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