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16.08.2022 | Annette von Hagel

Die Branche muss reagieren

Für Annette von Hagel ist klar: Wir brauchen die Ressourcenwende jetzt – wenn wir auch künftig noch Bauvorhaben erfolgreich umsetzen wollen. Im Exklusivinterview schildert die Geschäftsführende Vorständin der re!source gemeinnützige Stiftung e. V. eindringlich die aktuelle Lage.

Interview: Ralf-Stefan Golinski

Frau von Hagel, der dringende Appell der re!source lautet, dass Rohstoffe in absehbarer Zeit nur noch begrenzt oder gar nicht zur Verfügung stünden. Die Branche müsse reagieren, wenn sie auch künftig noch Bauvorhaben erfolgreich umsetzen wolle. Das tut sie aber doch längst, oder?

Ich nennen Ihnen gerne zunächst einige Zahlen, die die Dringlichkeit des Appells unterstreichen: Der Ressourcenabbau und deren Verarbeitung erzeugen 50 Prozent der Treibhausgasemissionen und verursachen 90 Prozent des Biodiversitätsverlustes und Wasserstresses. Sie sind nachweislich zurückzuführen auf die Gewinnung und die Verarbeitung von Ressourcen, wobei die ressourcenintensiven neben dem Sektor Bau die Textil-, Elektronik-, Kunststoff- und Lebensmittelbranche sind.

Der Anteil der Gebäude und des Bauwesens an der globalen Endenergie und den energiebezogenen CO-Emissionen lag im Jahr 2020 bei ca. 37 Prozent der Treibhausgase und ca. 36 Prozent des gesamten Energieverbrauchs. Etwa 215 Millionen Tonnen Abfall und Schutt fallen jährlich alleine in Deutschland an. Das sind 60 Prozent des gesamten Abfallaufkommens.

Neben unserer Verantwortung für die Auswirkungen auf Umwelt und Menschenrechtsverletzungen der Exportländer sind zudem die globalen Unwägbarkeiten durch Importstopps ein erhebliches wirtschaftliches Risiko.

Bereits am 4. Mai hat Deutschland in diesem Jahr den Erdüberlastungstag erreicht. Das bedeutet, schon da war das Ressourcen-Budget für das gesamte Jahr 2022 aufgebraucht. So können wir nicht weiter handeln. Die Recycling- und Wiederverwertungsquote ist noch immer zu gering. Und da ist auch der Staat gefragt. Die Öffentliche Hand ist mit ca. 20 Prozent des Hochbaus eine der größten Bauherren in Deutschland und könnte laut Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln jährlich 1,9 Millionen Tonnen CO einsparen – wenn er bei öffentlichen Vergaben an die Bauwirtschaft den Klimaschutz stärker berücksichtigen würde.

Wir könnten noch viel mehr tun. Es fehlt allerdings auch an einer guten Datenlage. Was wurde wann, wo und in welcher Qualität verbaut. Sind die einzelnen Gebäude schadstofffrei? Denken Sie an Asbest: Er wurde in den Jahren 1950 bis 1993 in Deutschland flächendeckend verbaut. Und denken Sie an PCB, PAK, Cadmium, Blei etc. Wir können in der Regel stets nur Annahmen treffen, genaue Kenntnisse aufgrund mangelnder Dokumentation fehlen uns. Das erschwert den Rückbau erheblich.

Wie kann man sich denn eine Kreislaufwirtschaft der Baubranche idealerweise vorstellen?

Im Grunde muss eine Baumaßnahme ebenfalls vom Rückbau gedacht werden. Das sieht weder das Planungs- und Bauverhalten noch die Gesetzgebung vor. Wir müssen daher dringend eine durchgängige Dokumentation für alle Baumaßnahmen fordern, sei es im Neubau- oder Sanierungsbereich. Die Prozesse bei Planung, Bau, Betrieb und Rückbau müssen verbessert werden.

Etwa 7 Prozent des Baustellenabfalls entsteht durch Falschlieferungen, Planungsfehler, Logistikabläufe, etc. 10 Prozent der Baukosten werden durch Baufehler verursacht. Auch zeigen Untersuchungen, dass Handwerker von Ausbaugewerken nur rund 31 Prozent ihrer Arbeitszeit mit ihrer eigentlichen Haupttätigkeit beschäftigt sind. Demgegenüber stehen Zeitanteile von 69 Prozent, welche als schwachstellenverdächtig zu betrachten sind. Anteile wie persönlich bedingte Unterbrechungen, Abwesenheit und Sonstiges müssen natürlich nicht als mit Maßnahmen einer verbesserten Logistik optimierbar angesehen werden. Für die Anteile störungsbedingte Unterbrechungen, Aufräumen und Umräumen, Materialsuche, Wartezeit, Wege und Transporte gilt das hingegen nicht, sie machen insgesamt 33,4 Prozent aus.

Die Ausschreibungen für Neubau-, Sanierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen müssen Recyclingmaterial explizit einfordern.

Transportwege müssen hier berücksichtigt werden. Die Nutzung einer Materialdatenbank für die Verfügbarkeit von Materialien und der Materialvermittlung wie es beispielsweise concular anbietet, muss sich etablieren.

Die von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag der 20. Legislaturperiode definierten Ziele der Einführung des Gebäuderessourcenpasses muss zügig und vor allem digital umgesetzt werden. Die Lebenszyklusbetrachtung von Immobilien sollte endlich durchgängig eingeführt werden. Das heißt, Planung, Bau, Betrieb, Sanierung, Rückbau müssen ineinandergreifen. Die Erfahrungen aus dem Betrieb und dem Rückbau können dann bei Planung und Bau endlich Berücksichtigung finden. Das funktioniert in Deutschland immer noch rudimentär.

Wir können mit den heutigen Kenntnissen und Mitteln bereits viel bewirken, müssen allerdings einen Forschungs- und Umsetzungsschwerpunkt auf diese Themen lenken. Hier sind die Gesetzgebung und die Ministerien gefordert.

Ein bedeutender Beitrag zur Verringerung von Ressourcenverbrauch wäre ja, Neubaumaßnahmen generell zu reduzieren und stattdessen noch mehr auf Aus- und Umbau im Bestand zu setzen.

Der Großteil mit ca. 95 Prozent der Baumaßnahmen liegt ja im Bestand. Neubaumaßnahmen von Einfamilienhaussiedlungen durch Neuerschließung von Flächen ist meines Erachtens nicht mehr zeitgemäß. Wir können uns einen weiteren Flächenfraß nicht erlauben. Täglich werden in Deutschland rund 54 Hektar als Siedlungsflächen und Verkehrsflächen neu ausgewiesen. Dies entspricht einer Flächenneuinanspruchnahme – kurz einem Flächenverbrauch – von circa 76 Fußballfeldern.

Den Neubau aber völlig zu verdammen, halte ich für nicht zielführend. Viele Gebäude eignen sich nicht zur Umnutzung oder entsprechend nicht mehr den aktuellen Anforderungen bei gleicher Nutzung. Deshalb halte ich den Rückbau und Neubau sowie städtische Verdichtung und Aufstockungen unter Berücksichtigung der klima-, umweltgerechten und lebenswerten Stadtentwicklung für absolut notwendig.

Gibt es denn noch Interessengruppen, die eine Ressourcenwende gezielt ausbremsen – etwa weil sie damit einhergehende Nachteile befürchten?

Gezielt ausbremsende Interessengruppen sind schwer zu lokalisieren. Ich glaube eher, dass das Misstrauen in die Qualität von recycelten Materialien noch zu groß ist. Hier muss unbedingt Aufklärung betrieben und realisierte Beispiele ausgewertet und demonstriert werden.

Außerdem sind die Folgen des Nichthandeln immer noch nicht ausreichend bekannt. Dies sehen wir als eine unserer Aufgaben mit der re!source.

Welche Möglichkeiten und Mittel sehen Sie noch?

Es gilt, weiter Aufklärung zu betreiben, Methoden und Beispiele zu liefern sowie vor allem zu belegen, dass Recycling nicht zu Kostenexplosionen führen. Vielmehr kommen die Kosten durch mangelhafte Prozesse und Ausführungen zustande, die indirekten Kosten durch Mangel an Verfügbarkeit von Material und Energieangebot – das lässt die Preise in die Höhe schnellen.

In der gemeinnützigen re!source Stiftung vernetzen wir die Akteure, um die Themen zu diskutieren sowie praktikable Lösungen in unseren Arbeitsgruppen zu entwickeln und unter anderen auf unseren Konferenzen zu lenken. Dabei bieten wir etwa für die Öffentliche Hand kostenfreie Seminare zu diesen umfassenden Herausforderungen an. Diese werden vom Bundesbauministerium unterstützt und sind sehr gut besucht.

Gebaut aber ist gebaut: Welche sind denn die wirksamsten Hebel aus der Bewirtschaftung und dem Facility Management heraus?

Auch die Verantwortlichen im Facility Management müssen sich dieser Tatsache bewusst sein, dass sie zurückbauen und wieder neue Einbauten veranlassen. Sei es im Haustechnikbereich oder Innenausbau.

Hier können die Firmen großen Einfluss auf die Materialwahl und -verarbeitung ausüben. Sie können die Digitalisierung vorantreiben und etablieren. Wir kooperieren deshalb sehr intensiv mit der GEFMA e. V. (German Facility Management Association) und sind unter anderem gemeinsam Mitglied des Neuen Europäischen Bauhauses.

Ihre persönliche Einschätzung: Wie realistisch ist die Ressourcenwende im Bauwesen?

Wir werden aufgrund der aktuellen Lage die Ressourcenwende umsetzen, da wir keine andere Wahl haben. Uns wird deutlich vor Augen geführt, wie abhängig wir von Ländern wie Russland sind. Es bedarf leider immer Krisen, um endlich zu handeln. Allerdings sehe ich den sehr guten Austausch mit der Politik und den Ministerien. Ich bin und bleibe optimistisch – wären wir das nicht, hätten wir schon verloren.

Vor vier Jahren haben Sie 2018 die re!source Stiftung initiiert. Warum dieser eigene und neue Weg, Sie hätten sich mit Ihrer Erfahrung und Ihrem Netzwerk auch in eine bestehende Organisation einbringen können?

Als wir im Jahr 2017 als IRBau (Initiative Ressourcenwende in der Bauwirtschaft) starteten, war das Thema von keinem großen Interesse. Das Bauministerium teilte uns damals mit, dass die Ressourcen im Bauwesen keine Berücksichtigung finden werden! Dies veranlasste uns zum zügigen Handeln. Heute wirken wir gemeinsam mit einem sehr aktivem Partnernetzwerk, bündeln Erkenntnisse und Erfahrungen und transportieren diese in die breite Fachöffentlichkeit.

Dazu dienen auch die Jahreskonferenzen der re!source Stiftung. Am 22. September findet in Berlin die Fünfte statt. Worauf legen Sie den programmlichen Schwerpunkt in diesem Jahr?

Wesentliches Augenmerk in diesem Jahr legen wir auf die Themen: Ressourcenverfügbarkeit; Wissenschaft und Forschung zur Ressourcenwende; Industrialisierungsstrategien zur Ressourcenwende; Finanzierungs- und Bewertungsstrategien; Politischer Diskurs, Schwerpunkt öffentliche Hand. Alle diese Punkte sind zurzeit brennende Herausforderungen.

Die wichtigste Frage zum Schluss: Was treibt Sie selbst so unermüdlich an?

Das ist seit vielen Jahren meine Intension, an einer Verbesserung der Bau- und Immobilienwirtschaft mitzuwirken – beginnend mit den Prozessen und Abläufen, dem Nachhaltigen Bauen, der Digitalisierung und der Energieeffizienz und vor allem der Ressourcenwende. Dies sind die Hebel, um unsere Welt, gerade in den Auswirkungen wie der nun merkbare Klimawandel, dem Biodiversitätsverlust, dem Schutz der Menschenrechte in undemokratischen Ländern, der Umweltzerstörung, dem europäischen Gesundheitsschutz und vieles mehr gezielt positiv zu beeinflussen und lebenswerter zu gestalten. Denn dies liegt in unserer Verantwortung.

Quellen und Links

Baulogistik. Innovationspotenziale für die Bauwirtschaft. Josef Zimmermann, Lehrstuhl für Bauprozessmanagement und Immobilienentwicklung, TUM. 2009.

European Green Deal, Konzept der Europäischen Kommission. 2019.

Flächenverbrauch – Worum geht es? Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz.

Global Status Report for Buildings and Constructions. UN environment programme. 2021.

Green Public Procurement: Potenziale einer nachhaltigen Beschaffung. Andreas Fischer, Malte Küper. 2021.

Stadtgold – Baustofflager mit Zukunft. Ein Leitfaden: Ergebnisse des Projekts Kartierung des anthropogenen Lagers III. Umweltbundesamt. 2022.

Die gemeinnützige re!source Stiftung e. V. ist eine unabhängige Allianz mit Mitgliedern aus Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft und Politik, die 2018 von Akteuren aus der Bau- und Immobilienbranche gegründet wurde. Ziel der Stiftung ist es, die nachhaltige Nutzung von Ressourcen voranzutreiben und dadurch die Umsetzung einer echten zirkulären Wertschöpfung von Baumaterialien zu fördern. Am 22. September 2022 findet ihre 5. Jahreskonferenz in Berlin statt. https://www.re-source.com/konferenzen/jahreskonferenz-2022/

Partnernetzwerk der re!source Stiftung zum Thema Ressourcenwende:

• A|U|F e. V. – Aluminiumrecyclingwww.a-u-f.com

• Bundesverband energieeffiziente Gebäudehülle e. V. – BuVEG www.buveg.de

• Deutsche Unternehmensinitiative Energieeffizienz e. V. – DENEFF www.deneff.org

• Deutsches Institut für vorbeugenden Brandschutz e. V. – DIvB www.divb.org

• German Facility Management Association – GEFMA (Deutscher Verband für Facility Management e. V.) www.gefma.de

• Madaster Foundation www.madaster.com

• Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Planen und Bauenwww.kompetenzzentrum-planen-und-bauen.digital

• planen-bauen 4.0 Gesellschaft zur Digitalisierung des Planens, Bauens und Betreibens mbH www.planen-bauen40.de

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Bilder
© privat
Autor

Annette von Hagel ist Geschäftsführende Vorständin der re!source gemeinnützige Stiftung e.V. und Geschäftsführende Gesellschafterin der Circular Building UG. Gemeinsam mit einem exzellenten Netzwerk unterstützt sie eine auf die Zukunft gerichtete Planung von Immobilien und begleitet die Realisierung sowohl für den Neubau wie auch für die Bestandsmodernisierung. Dabei verfügt sie über Führungserfahrung in Unternehmen der öffentlichen Hand, Planungsbüros, Bau- und Wohnungswirtschaft sowie der IT-Branche. Sie studierte an der Technischen Universität Darmstadt und ist Dipl. Ingenieurin, Architektin und Facility Managerin.

 

Themen
  • Interview
  • Umwelt
  • Recycling
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