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26.11.2020 | Arnim Spengler

Der Bauherr sollte sein Bauwerk kennen

Leistungsphase 0 und BIM-Implikationen

Die Leistungsphase 0 wird im Bauwesen stiefmütterlich behandelt. Für eine konsequente Umsetzung der BIM-Methodik muss die Rolle des Bauherrn in der LP 0 neu überdacht werden. Der Artikel gibt einen Überblick über Normen und Beispiele.

Einleitung

Bauherren verfolgen mit Bauwerken individuelle Ziele. Dabei ist es unerheblich, ob es sich bei ihnen um Investoren, die öffentliche Hand, produzierendes Gewerbe oder private Bauherrn handelt. Diese Ziele und daraus abgeleitete Bedarfe an das Bauwerk müssen vor der Vergabe der Planungsleistungen bekannt sein und Implikationen in die weitere Planung einfließen. Diese Phase wird oft mit der Leistungsphase 0 (LP 0) umschrieben.

Dieser Beitrag soll die planungs- und ausführungsrelevanten Projektziele und Tätigkeiten nicht schmälern, aus anderen Sichtweisen sind diese wichtiger, sie erhöhen die Wahrscheinlichkeit eines hochwertigen und mängelfreien Produktes und kommen somit dem Bauherrn bzw. Asset Owner (AO) entgegen.

Die Leistungsphase 0

Über die LP 0 wird seit Jahren vor dem Hintergrund der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) diskutiert, ohne dass die LP 0 in die HOAI aufgenommen wurde. Ein Grund besteht darin, dass es fragwürdig ist, ob die LP 0 wegen ihres Leistungsbildes dem Sinn der HOAI entspricht. Zudem ist die LP 0 vom § 650p BGB „Vertragstypische Pflichten aus Architekten- und Ingenieurverträgen“, indem eine Planungsgrundlage für Planungs- und Überwachungsziele gefordert wird, abzugrenzen. Andere Diskussionen verknüpfen mit der LP 0 die Projektentwicklung eines Immobilienprojekts. Eng im Bezug mit der LP 0 steht die LP 10, worunter die Beratung und Betreuung während des Bauwerksbetriebs zu verstehen ist.

Das Besondere an all diesen Sichtweisen ist, dass sie sich u. a. mit dem Zweck und den daraus resultierenden Zielen eines Bauwerks in der Betriebsphase beschäftigen. Also mit der Fragestellung, was der AO letztendlich mit dem Bauwerk erreichen möchte. Damit ist der BIM-Bezug eindeutig gegeben. Die Diskussion über die LP 0 vor dem Hintergrund der BIM-Methodik wird jedoch kaum geführt. Das überrascht, da BIM-Ziele aus Bauherrensicht, daraus resultierende AIAs und die Weiternutzung der Informationen in der Betriebsphase wesentliche Säulen der BIM-Methodik darstellen.

Was ist der Nutzen?

Um den AO zu verstehen, sollte man sich in seine Lage versetzen. Die VDI 2552 Blatt 10 gibt Beispiele für AO an (die VDI spricht von Auftraggebern): Bestandshalter, Eigennutzer, Projektentwickler, öffentliche Hand oder Betreiber.

Für viele AO ist der eigentliche Bauprozess eher Mittel zum Zweck (wenn auch ein außerordentlich wichtiges Mittel). Der eigentliche Zweck des Bauwerks beginnt für den AO mit dem Datum der Bauabnahme. Erst dann kann er seine eigenen Projektziele verwirklichen und seinen individuellen Nutzen aus dem Bauwerk generieren. Das beschreibt das Wesen des Bedarfs schon recht gut.

Der Nutzen, den ein AO aus einem Bauwerk ziehen möchte, ist ein Begriff, der je nach Blickwinkel mit verschiedenen Bedeutungen behaftet ist. In der baubetrieblichen Sichtweise steht der ökonomische Nutzen im Vordergrund, was jedoch nur einen geringen Teil des Nutzens abbildet. Der Nutzenbegriff kann wesentlich weiter gefasst und in verschiedene Nutzenarten eines Bauwerks wie den ökonomischen, sozialen und ökologischen Nutzen aufgeteilt werden. Der Begriff des Bedarfs erweitert den Nutzenbegriff nochmals in Richtung Besitz, Gebrauch und Nutzung. Er leitet sich aus den Bedürfnissen eines AO ab. Diese sind höchst individuell, und nur der AO kann seine individuellen Bedürfnisse beschreiben. Hier hilft die DIN 18205.

DIN 18205 und ISO 19208

Die DIN 18205 stammt aus dem Jahr 1996, beschäftigt sich mit der Bedarfsplanung im Bauwesen und wurde im Jahr 2016 überarbeitet. Ihr Inhalt besteht darin, die Bedürfnisse und Ziele sowie Anforderungen eines Bedarfsträgers noch vor dem eigentlichen Planungsbeginn nach HOAI einzubeziehen. In der DIN wird zudem festgelegt, dass erforderliche Detailtiefen der einzelnen Bau-, Planungs- und Betriebsphasen vorab definiert werden sollen. Der Nutzen eines Bauwerks steht im Vordergrund. Die DIN richtet sich sowohl an private als auch institutionelle Bauherrn. Somit hat die DIN 18205 direkten Bezug zur BIM-Methodik und zur strategischen Ausrichtung einer Institution, sodass sie eine Brücke zwischen beiden Bereichen bildet.

Phasen der Bedarfsplanung laut DIN:

  • Projektkontext klären
  • Projektziele festlegen
  • Informationen erfassen und auswerten
  • Bedarfsplan erstellen
  • Bedarfsdeckung untersuchen und festlegen
  • Bedarfsplan und mögliche Lösungen abgleichen

Spätestens in Phase 6 der Bedarfsplanung nach DIN 18205 kommen die Leistungsphasen nach HOAI hinzu. Viele dieser Informationen können in einem BIM-Modell mit niedrigem LOD-Level abgebildet werden.

Bedarfsplanung (Erweitert und modifiziert in Anlehnung an DIN 18205), Bild: Arnim Spengler

Die Abbildung zeigt, wie eine Bedarfsplanung aussehen könnte. Die Abbildung ist an die DIN 18205 angelehnt, erweiterte sie jedoch um die übergeordneten Ziele eines AO, den Regelkreis des Betriebs von Bauwerken, die Rückkopplung an den Bedarf neuer Bauwerke und den Impuls als Zeitpunkt der Willensbildung, dass ein neues Bauwerk geplant und umgesetzt werden soll.

Es wird schnell klar, dass auch hier die BIM-Methodik helfen kann. Das wurde u. a. im Endbericht der Reformkommission Bau von Großprojekten erkannt und gefordert. Dieses gestaltet sich mit aktuellen Tools schwierig, da in dieser frühen Phase oft keine 3D-Visualisierungen zur Verfügung stehen und wenige Tools die übergeordnete Baumstruktur eines BIM-Modells anzeigen, bearbeiten und fortschreiben können. Zudem unterscheiden sich die Methoden der Bedarfsfeststellung jedes AO stark und sind kaum normierbar.

Die ISO 19208 geht noch weiter als die DIN 18205 und behandelt u. a. Bereiche wie die Wirkung (die ISO spricht von Agents), die Einflüsse auf Mensch und Umwelt sowie zeitliche Veränderungen. Nach der ISO werden die Bedarfe (die ISO spricht von Objectives) in diesen Bereichen benannt, kategorisiert, beschrieben, mit Kennzahlen hinterlegt und (im Betrieb) evaluiert. Neben Kategorien wie Sicherheit, Brandschutz und Wirtschaftlichkeit sind Kategorien enthalten, die nicht direkt offensichtlich sind.

Diese sind u. a.:

  • Oberflächenbeschaffenheiten
  • Nachhaltigkeit
  • Resilienz
  • Umgang mit Abfällen des Betriebs
  • Kommunikation

Aufgrund der Vorgehensweise in der Benennung und Hinterlegung mit Kennzahlen eignet sich die ISO 19208 sehr gut als Grundlage für das digitale Bauwerksmodell nach LP 0. Es werden viele Bereiche und Kennzahlen aufgezeigt.

AIAs in der Bedarfsplanung

So unterschiedlich wie AO sein können, so unterschiedlich können die Anforderungen an das Informationsbedürfnis sein. Die Anforderungen der öffentlichen Hand bei Gebäuden in Eigennutzung unterscheiden sich beispielsweise stark von den Anforderungen von Investoren, die renditeorientiert agieren oder einen optimalen Standort suchen.

Informationen, die das Modell in der Bedarfsplanung abbilden sollte, sind u. a.:

  • Zweck und Ziel des Bauwerks
  • übergeordnete Terminplanungen
  • Nutzeinheiten
  • Raum- und Flächenbedarf
  • Raum- und Funktionsprogramm
  • Standortfaktoren
  • soziale Anforderungen
  • Ausstattungen
  • erforderliche TGA
  • Informationsschnittstellen an weiterführende Informations- und Kommunikationstechnik-Systeme (IKT)

Der AO kann die Informationen zum Beispiel für Simulationen, eigene Standortsuchen, Einkauf oder die Koordination zwischen anderen Bauwerken benötigen. In der Betriebsphase kann der AO Schnittstellen zwischen seiner Finanzbuchhaltung, der Lenkung von Besucherströmen, der Nutzung von Sensordaten, den Reinigungsintervallen usw. nutzen. Nach dem aktuellen Entwurf der VDI 2552 Blatt 10 kann der AO projektübergreifende Informationsanforderungen für Organisation (OIR), Assets (AIR) und individuell für jedes Projekt (PIR) erstellen. Auch Nutzer können eigene BIM-Ziele verfolgen, die gegebenenfalls in der Bedarfsplanung vom AO berücksichtigt und aufgenommen werden müssen.

Aus ihnen lassen sich die spezifischen Austausch-Informationsanforderungen (AIA) für die Auftragnehmer (AN) ableiten. Im Umkehrschluss bedeutet das: Werden die AIAs in der Bedarfsplanung falsch beschrieben, können die übergeordneten (Institutions-) Ziele und der Betrieb des Bauwerks gefährdet sein!

Aktuelle Beispiele von BIM-Zielen, Anwendungsfällen und AIAs sind stark planungslastig. Übergeordnete Projektziele des AO wie Nachhaltigkeit oder das Management von Bauwerksverbünden wie Stadtteile sind nur rudimentär vorhanden. In Gesprächen mit AO insbesondere der öffentlichen Hand hat sich gezeigt, dass diese sich von den aktuellen Beispielen nicht wirklich angesprochen fühlen.

BIM-Notwendigkeiten

Die BIM-Methodik zwingt den AO dazu, sich mit den eigenen Bedarfen vor der LP 1 auseinanderzusetzen. Die Versuchung ist groß, sich aus vorgefertigten BIM-Zielen und den zugehörigen AIAs zu bedienen und den eignen Bedarf nicht ausreichend zu definieren. Werden an das Bauwerk keine besonderen Anforderungen gestellt, ist die spätere Nutzung des Bauwerks von untergeordneter Bedeutung, werden keine Daten zur späteren Verarbeitung benötigt oder sollen keine Rückschlüsse auf andere Bauwerke gezogen werden, so können vorhandene Beispiele einfach übernommen werden. In allen anderen Fällen ist die Beschäftigung mit den eigenen Bedarfen unabdingbar und nimmt gerade mit und durch BIM an Bedeutung zu.

Die BIM-Methode ist aus AO-Sicht eine noch nie dagewesene Möglichkeit, sparsamer mit Ressourcen umzugehen, Qualitäten eines hergestellten Produkts und der Arbeitsbedingungen von Mitarbeitern zu erhöhen oder eine neue Dienstleistung zu etablieren. Aus Sicht der öffentlichen Hand können wichtige Kennzahlen über Stadtteile, Rückschlüsse von aktuellen Bauprojekten auf zukünftige Bauten sowie Ressourceneinsparungen realisiert oder Abläufe optimiert werden.

Die DIN 18205 sollte um die Methode und Möglichkeiten des BIM erweitert (auch wenn die DIN versucht, methodenneutral zu sein) und Implikationen in die VDI 2552 aufgenommen werden.
Die LP 0 in Verbindung mit BIM hat aus Institutionssicht durch den Einsatz von modernen IKT erhebliches Potenzial. Neben den in diesem Artikel genannten Aspekten können aufbauende Dienste im Betrieb wie z. B. direkt mit dem Bauwerk verknüpfte Wissensdatenbanken, Predictive Maintenance (vorausschauende Instandhaltung) oder die Unterstützung von Nutzern beim Energiesparen auf Seiten des AO umgesetzt werden. Das setzt eine vernünftige und einheitliche Informationsbeschaffung sowie ein gut geführtes As-Built Modell voraus. Sollen diese Dienste auf mehrere Bauwerke ausgerollt werden, so sind eigene OIRs und AIRs mit allen Ableitungen zwingend erforderlich. Die DIN 18205 kann hierbei unterstützen.

Fazit

Der Einbezug der BIM-Methode in die Bedarfsplanung muss weiter ausgebaut werden. An der Universität Duisburg-Essen wird derzeit an der Ableitung von Nutzen und Bedarfe anhand von Ontologien geforscht. Durch den Einsatz von Ontologien ist es möglich, Zusammenhänge zwischen Bauwerk und Umwelt sowie zwischen Bauwerken und ganzen Stadtteilen darzustellen und komplexe Wirkungsketten zu finden.

Zudem ist es möglich, durch Ontologien in Verbindung mit Methoden der künstlichen Intelligenz Wissensdatenbanken aufzubauen, Ähnlichkeiten aufzuzeigen und den AO bei seinen Aufgaben zu unterstützen. Voraussetzungen sind eine zielführende Bedarfsplanung, die institutionsübergreifende Informationsanforderungen berücksichtigt, daraus abgeleitete AIAs und ein Bauwerksmodell, das dieses abbildet.


Beispiel Innovationskraft

Ein innovatives mittelständisches Unternehmen hat in seiner Unternehmensvision festgeschrieben, dass es seine Innovationskraft nach außen tragen möchte. Im Laufe der Zeit ist der alte Hauptsitz des Unternehmens zu klein geworden. Zudem wurde festgelegt, den digitalisierungs- und automatisierungsgrad der eigenbewirtschafteten Immobilien zu erhöhen. Es wurde bereits gute Erfahrungen mit Robotern zur Reinigung gemacht, die Reinigungsintervalle der Fachkräfte konnten in Tests gesenkt werden. Dieses soll weiter verfolgt und dann ausgerollt werden.

Vision: Innovationskraft nach außen tragen.

Abgeleitetes Ziel: Den Digitalisierungs- und Automatisierungsgrad der eigen bewirtschafteten Immobilien erhöhen

Bedarf: Mehr Flächen für Mitarbeiter (Die gereinigt werden müssen)

Impuls: Neubau eines innovativen Hauptsitzes

Ableitung auf OIR

Ableitung OIR auf PIR (vereinfachtes Beispiel)

 

Literatur

Achatzi, H. P; Schneider, W.; Volkmann, W. (2017): Bedarfsplanung in der Projektentwicklung, Springer Vieweg, Heidelberg

AHO Heft 9 (2020): Leistungsbild und Honorierung Projektmanagementleistungen in der Bau- und Immobilienwirtschaft, Ausschuss der Verbände und Kammern der Ingenieure und Architekten (AHO), Reguvis Fachmedien

BMVI (2015): Reformkommission Bau von Großprojekten: Endbericht, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Berlin

DIN 18205 (2016): Bedarfsplanung im Bauwesen, Deutsche Norm, Stand November 2016, DIN Deutsches Institut für Normung e. V.

Hodulak, M.; Schramm, U. (2019): Nutzenorientierte Bedarfsplanung: Prozessqualität für nachhaltige Gebäude, 2. Auflage Springer Vieweg, Heidelberg

ISO 19208 (2016): Framework for specifying performance in buildings, International Organization for Standardization (ISO), Genf, Schweiz

Spengler, A.; Peter J. (2020): Die Methode Building Information Modelling, Springer Vieweg, Heidelberg

VDI 2552, Blatt 10 [Entwurf] (2020): Building Information Modeling: Auftraggeber-Informations-Anforderungen (AIA) und BIM-Abwicklungspläne (BAP), VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik (GBG), Düsseldorf

© Chlorophylle/stock.adobe.com
Autor

Arnim J. Spengler ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Duisburg-Essen, beratender Ingenieur und Gründer und CTO des Construction Tech-Startups BuildersMind. Er beschäftigt sich seit der Jahrtausendwende mit Internettechnologien, insbesondere der Programmierung, und wissenschaftlich mit den Themenfeldern der Robotik und dem Einfluss digitaler Methoden (z. B. BIM oder der künstlichen Intelligenz) aus baubetrieblicher Sicht. (Bild: privat) arnim-spengler.de

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