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18.05.2020 | Marc Heinz, Verena Gibson

BIM-Projektdesign: Die Krise als Chance

BIM richtig aufsetzen (1/4)

Die Corona-Pandemie könnte der Digitalisierung der Bauindustrie mehr Schwung verleihen. Warum jetzt noch länger auf BIM-Normen warten – und nicht einfach BIM ausprobieren?

Als seit über 10 Jahren beratende Marktbegleiter unterstützen wir vorwiegend Bauherren bei der Digitalisierung und Implementierung der BIM-Methode. Parallel dazu betrachten wir die bereits bestehenden und in Entwicklung befindlichen öffentlich zugänglichen Grundlagen, die zur Definition und Initiierung von einem BIM-Projekt vorgesehen sind.

Bauherren, Planer und Baufirmen haben unterschiedliche Interessen in Bezug auf die Realisierung eines BIM-Projekts. Wie ein BIM-Projekt letztendlich aufgesetzt wird, muss von jedem Beteiligten auf Basis seiner eigenen Informationsbedürfnisse und auf seine eigene Weise beantwortet werden.


Sichtweisen auf Informationsbedürfnisse mit BIM, Bild: vrame Consult GmbH

Wie wichtig die Faktoren Menschen, Prozesse und IT-Infrastruktur neben den Richtlinien und Standards sind, zeigen wir aus unserer Sicht in einer Serie von vier Fachartikeln auf. In diesem ersten Artikel teilen wir unsere Erkenntnisse und Erfahrungen zum Status Quo in Deutschland – und wie essenziell die Menschen und ihre jeweiligen Informationsbedürfnisse beim Thema BIM sind.

Nicht allein durch die derzeitigen Herausforderungen mit COVID-19 rücken drei wesentliche Blickwinkel in den Vordergrund:

1. Was hindert uns daran, BIM nicht einfach auszuprobieren? Just do it!

Wenn nicht jetzt, wann dann? Es ist wichtig anzufangen. Besonders in der derzeitigen Situation erleben wir, dass die bisherigen formal vorherrschenden Strukturen und Prozesse aufgebrochen werden. Was inzwischen als agiles und disruptives Agieren bekannt ist, wird jetzt in vielen Unternehmen sichtbar.

Durch den schnellen, gezwungenen Wechsel vom Arbeiten im Büro zum Arbeiten im Homeoffice bedarf es einer anderen effektiven Zusammenarbeit. Ein ortsunabhängiger Zugriff auf Informationen ist gefragt. Dabei ist nicht allein die Zugänglichkeit von Informationen wichtig, sondern auch der Umgang mit den jeweiligen Informationsbedürfnissen. Wir sehen dies im Kontext der Transparenz.

Ein jeder, für den die Information wichtig ist, stellt sich folgende Fragen:

  • Welche Information muss von mir geteilt werden?
  • Wo finde ich die Informationen von anderen?
  • Wer hat die Information erstellt oder bearbeitet?
  • Wann wurde die Information erstellt oder bearbeitet?
  • Was muss als nächstes mit der Information geschehen?

Saß man beispielweise noch vor Wochen bei einer Planungsbesprechung physisch zusammen, dann konnten auf ausgeplotteten Plänen die Stellen markiert werden, bei denen Änderungsbedarf bestand. Der Austausch an Informationen fand an einem Ort mit allen Beteiligten statt. Um jetzt dem Corona-bedingten physical distancing gerecht zu werden, müssen für den Austausch der gleichen Informationen andere geeignete Hilfsmittel gefunden werden, um die Zusammenarbeit zu gewährleisten.

Wie kann man kommunikations- und arbeitsfähig bleiben, wenn notwendige Informationen nicht an einem Ort zugänglich sind? Zudem kann jeder von uns mindestens von einer herausfordernden Videokonferenz berichten, bei der es erst technische Hürden zu meistern gab, bevor effektiv gearbeitet werden konnte. Der Satz „Könnt ihr mich sehen und hören?“ gehört fast schon zur Begrüßung dazu.

Betrachten wir BIM aus dem Blickwinkel der Digitalisierung. Der Begriff Digitalisierung hat laut dem Gabler Wirtschaftslexikon mehrere Bedeutungen. In diesem Artikel wird der Begriff im Kontext der digitalen Umwandlung und Darstellung bzw. Durchführung von Information und Kommunikation gesehen. Es verändern sich somit analoge Kommunikations- und Arbeitsschritte hinzu digitalen Lösungen zum Austausch von Informationen und der Kommunikation.

Mit dem Gießkannenprinzip alle analogen Schritte 1:1 zu digitalisieren, ist dabei nicht zielführend. Thorsten Dirks war von Oktober 2014 bis Dezember 2016 Vorstandsvorsitzender der Telefónica Deutschland Holding und machte 2015 auf dem Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung seinem Unmut über schlechte Digitalisierungsprojekte Luft: „Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess.“

Für die Implementierung der Arbeitsmethode Building Information Modeling (BIM) gilt das Gleiche. Oft wird BIM z. B. nur für die 3D-Modellierung bedacht. Die Informationen, die für den Betrieb wichtig sind, werden nicht in die Planung mit einbezogen. Die Informationen eines Gebäudes ganzheitlich über den Lebenszyklus zu betrachtet, ist bereits Bestandteil der internationalen Norm DIN EN ISO 19650, die im August 2019 herausgegeben wurde (Hrsg. DIN Deutsches Institut für Normung e. V.).

Die folgende Abbildung zeigt aus unserer Sicht vier bereits bestehende Standards und Normen, die hinsichtlich der Informationsbedürfnisse in den Bereichen Planen, Bauen und Betreiben unter Einbezug der BIM-Methode relevant sind.

Bild: vrame Consult GmbH

Als Bauherr, Investor, Projektentwickler oder Betreiber sind Informationen und Daten zu dem Gebäude essenziell – sowohl für die Ermittlung von Massen und Mengen in der Planung und im Bauen, als auch in der Betriebsphase für die Ausschreibung von Facility Services. Umso ganzheitlicher die Informationen in den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes einbezogen werden, desto höher ist letztendlich auch der Informationsgehalt. Das bedeutet, dass verschiedene Stakeholder mit ihren unterschiedlichen Informationsbedürfnissen zu den jeweiligen Zeitpunkten im Lebenszyklus eines Gebäudes Zugriff auf die jeweiligen Informationen erhalten.

Für uns bedeutet dies, dass Informationen von den jeweiligen Projektbeteiligten erstellt und geteilt werden. Dies führt zu transparenten Informationen, da diese für alle Beteiligten zugänglich sind. Transparenz muss gewünscht sein, um einen offenen Austausch zu erfahren. Dieser offene Austausch wird durch verschiedene Interessengruppen nicht immer verfolgt, weil Geschäftsmodelle auf Intransparenz basieren. Wo Transparenz innerhalb von Projekten vorhanden ist, erfahren aus unserer Perspektive heraus alle einen großen Mehrwert.

Um die gewünschte Transparenz zu erhalten, ist bei der Umsetzung von BIM wichtig, die Anforderungen an die Informationsbedürfnisse vor Projektbeginn zu definieren. Das heißt, welche Informationen zu welchen Zeitpunkten benötigt werden und von wem diese Informationen zur Verfügung gestellt werden. Diese Anforderungen gehen in den Auftraggeber-Informationsanforderungen (kurz AIA oder EIR) auf. Diese Anforderungen sind in Leistungsbildern darzustellen.

Hierin liegt eine große Herausforderung, da es auch für die BIM-Leistungen keine eindeutigen Vorgaben gibt. Seitens der Bundesarchitektenkammer oder beispielsweise dem AHO Heft Nr. 11 sind bisher nur Empfehlungen gegeben, wie sich BIM-Leistungen in Grundleistung und Besondere Leistung eingliedern lassen können. Somit gilt auch hier das Vertrauen auf ihre bisherige Projekterfahrung und den Austausch mit bereits BIM-erfahrenen Beteiligten.

2. Was spricht gegen eine bessere Zusammenarbeit und effektiveres Miteinander durch kollektives Denken?

Aus unserer Perspektive kann BIM die Zusammenarbeit verbessern und das Miteinander durch einen konstruktiven gemeinsamen Austausch der Informationsbedürfnisse effektiver gestalten.

BIM, noch vor Jahren als innovative neue Arbeitsmethode ausgerufen, fand early adopters. Menschen, in dem Falle Planende und Baubeteiligte, welche die neuesten technischen Entwicklungen als Erste nutzten. Es wurden beispielsweise mit bestehender Software 3D modelliert oder digitale Hilfsmittel von Einzelnen eingesetzt, bevor es den Begriff BIM gab.

Mit der Brille der Effizienz wird heute vielfach gewünscht, dass durch BIM die Planungsqualität erhöht, Termine fristgerecht und Kosten eingehalten werden. Spricht dies aber wirklich für eine Innovation, oder drehen wir uns damit nicht im Kreis der Optimierung von bereits bestehenden Prozessen? Wobei wir wieder beim Thema der Digitalisierung sind. Für BIM im Kontext der Digitalisierung sind aus unserer Perspektive vier Faktoren wichtig, die in die digitale Umwandlung innerhalb eines Unternehmen mit einzubeziehen sind: Menschen, Prozesse, IT-Infrastruktur und Standards/Richtlinien.

Ohne den bewussten Einbezug dieser vier Faktoren wird die digitale Umwandlung nicht gelingen. Der Mensch und seine Informationsbedürfnisse werden in der Rangfolge wieder der maßgebliche Faktor zur Gestaltung von Prozessen. Die Prozesse nehmen nur einen kleineren Teil davon ein. Meist wird für Prozesse und ihre Abläufe eine Standardisierung angestrebt. Was aber nun, wenn keine Standards und Normen vorliegen? Ist dem so?

Wir haben bisher erlebt, dass die Standardisierung und Normierung von BIM durch die Praxis überholt wurde. In Deutschland gibt es bisher keine einheitlichen BIM-Standards. Für Planende erarbeitet der VDI mit der VDI-Richtlinie 2552 Building Information Modeling (Hrsg. VDI-Gesellschaft Bauen und Gebäudetechnik) eine nationale Richtlinie als Empfehlung für die Implementierung von BIM.

Fraglich ist, ob diese Richtlinie tatsächlich zur Anwendung kommt, da die vollständige Veröffentlichung der bisherigen elf Blätter erst im Dezember 2021 zu erwarten ist. Nimmt man sich der elf Blätter bereits an, so wird schnell ersichtlich, dass es keine konkrete Vorgehensweise zur Implementierung von BIM ist, sondern eher ein übergeordnetes Aufzeigen der Anwendung von BIM.

Auf politischer Ebene wurde bereits im Jahr 2015 mit dem Stufenplan Digitales Planen und Bauen (Hrsg. BMVI, Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur) begonnen, den Weg für die Anwendung der BIM-Methode im Bereich Infrastruktur zu ebnen. Darauf folgte im Juni 2019 die Schaffung des Nationalen BIM-Kompetenzzentrums durch eine weitere Initiative des BMVI und in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI).

Das nationale BIM-Kompetenzzentrum soll für ein einheitliches und abgestimmtes Vorgehen u. a. für die Entwicklung und Umsetzung einer einheitlichen Normungs- und Open-BIM-Strategie sorgen (siehe BMVI Pressemitteilung vom 28. Juni 2019). Ein konkreter Zeitplan, bis wann mit der Fertigstellung zu rechnen ist, liegt uns bisher leider nicht vor.

Wollen wir auf die Veröffentlichung von Standards und Normen warten? Oder nutzen wir jetzt nicht die gewonnene Flexibilität, um selbst in und mit der Praxis zu lernen? Ohne bisherige BIM-Standards wird bereits BIM in der Praxis gelebt. Bei den bestehenden BIM-Projekten, die wir begleiten, erleben wir, wie das Projekt durch die Projektbeteiligten mehr in den Mittelpunkt gebracht wird.

Durch kollektives Denken gestalten alle Projektbeteiligten ihre Zusammenarbeit kooperativer und sind bereit, sich miteinander digital auszutauschen – sei es über das Teilen und Referenzieren von 3D-Modellen oder durch das Nutzen einer sogenannten Kollaborationsplattform, die es ermöglicht, direkte Besprechungen am 3D-Gesamtmodell zu protokollieren (vgl. BCF-Issues). In den meisten Fällen werden so auch bisherige Protokolle hinfällig und durch digitale Informationen umgewandelt.

3. Technologie kann helfen, kommunikations- und arbeitsfähig zu bleiben. Warum die Chance verstreichen lassen?

Wie wir am oben genannten Beispiel sehen können, kann der Faktor Technologie dabei unterstützen, kommunikations- und arbeitsfähig zu bleiben. Beispielsweise wird durch den Einsatz einer Projekt- und Kollaborationsplattform mit entsprechenden Zugriffsrechten (im Kontext von BIM auch Common Data Environment genannt) das orts- und zeitunabhängige Arbeiten ermöglicht.

Durch die Digitalisierung und den Einsatz von Technologie stehen die Informationen dort zur Verfügung, wo der Mitarbeiter oder der Projektbeteiligte gerade ist: im Homeoffice oder im Büro, auf dem Tablet auf der Baustelle oder mit dem Smartphone unterwegs. Videokonferenzsoftware, die easy-to-use ist, löst zum Teil physische Vor-Ort-Besprechungen ab und ermöglichen durch Desksharing, dass alle Beteiligten in Dokumente oder ganz allgemein in Informationen Einblick haben.

Fazit

Beim Thema BIM gibt es kein Richtig und kein Falsch. Die Menschen bei der Digitalisierung mit ihren Informationsbedürfnissen in den Vordergrund zu stellen, gibt uns die Möglichkeit, eine effektive digitale Umwandlung zu erreichen. Besser heute als morgen. Die eingesetzten Technologien und Prozesse folgen diesen Informationsbedürfnissen.

Aus unserer Sicht unterstützen diese fünf Fragen die Implementierung von BIM:

  • Wie sind wir heute und morgen effektiv (im Gegensatz zu effizient)?
  • In welchen Bereichen kann BIM uns unterstützen?
  • Welche Prozesse benötigen wir digital? Das Hinterfragen der bestehenden Prozesse ist sinnvoll.
  • Ist die jetzige Technologie (IT-Infrastruktur, weitere eingesetzte Tools) wirksam? Wo sind Veränderungen notwendig?
  • Welche Hilfsmittel oder Tools werden gebraucht, um flexibel und ortsunabhängig arbeiten zu können?

Fünf Empfehlungen, um ein BIM-Projekt richtig aufzusetzen:

  • Klare Benennung von Verantwortlichkeiten (Wer?, Was?, Wie?, Wann?, Wo?, Womit?) – Veränderungsprozesse nicht unterschätzen
  • BIM-Leistungen nicht zwingend in neue Rollen aufteilen – Komplex versus smarte Projekte (Kann z. B. der Objektplaner BIM-Leistungen übernehmen, die sonst als zusätzliche Rolle ein BIM-Manager und BIM-Gesamtkoordinator übernehmen würde?)
  • Anforderungen von der Anwendung heraus denken – was benötige ich wirklich? Nicht viel hilft viel (Benötige ich z. B. wirklich ein Modell für den Betrieb, oder welche Informationen sind ausreichend?)
  • Analoge Prozesse nicht 1:1 in digitale Prozesse umwandeln
  • Nutzung von digitalen Tools zur Zusammenarbeit – z. B. Einsatz einer Kollaborations- und Projektplattform, einer Koordinationssoftware, einer Videokonferenzsoftware usw.

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© Funtap/stock.adobe.com
Autoren

Marc Heinz ist seit 22 Jahren in der Baubranche tätig und seit acht Jahren BIM- und Informationsmanager. Er überzeugt durch progressive Ideen innerhalb des Lebenszyklus einer Immobilie und versteht es, Kundenbedürfnisse zu erkennen, noch bevor sie entstehen und diese in ganzheitlich ganzheitliche Strategien zu übersetzen.


Verena Gibson ist seit über zehn Jahren in der Bau- und Immobilienbranche tätig. Das Hauptaugenmerk ihrer aktuellen Tätigkeit als BIM-Consultant bei der vrame consult GmbH liegt auf der strategischen Beratung zur BIM-Implementierung und der Begleitung von Transformationsprozessen auf Bauherrenseite. Gemeinsam mit den Auftraggebern entwickelt sie BIM-spezifische Anforderungen und Leistungsbilder.  (Bild: privat) vrame.com

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