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17.09.2021 | Kerstin Burmeister

Bauen der Zukunft

In der Baubranche gibt es verschiedene Ansätze für mehr Ressourceneffizienz und Klimaschutz über den gesamten Bauzyklus


Der Verein AACHEN BUILDING EXPERTS (ABE) fördert innovatives Bauen und vernetzt deutschlandweit Akteure entlang der Wertschöpfungskette Bau. Viele ABE-Mitglieder treiben das ressourceneffiziente und kreislaufgerechte Bauen intensiv voran. Bisher produziert die Branche mehr als die Hälfte der weltweiten Abfälle. Innovative Herangehensweisen und alternative Baustoffe können folglich viel bewirken. Beim nachhaltigen Bauen wird jedoch häufig zuerst an Passivhäuser und Energieeffizienz gedacht. Dabei berücksichtigen neuere Ansätze zusätzlich die Zeit vor und nach der Lebensdauer des Bauwerks. Recycelbare und nachwachsende Baustoffe wie Holz spielen eine große Rolle.

Gebäude als Kohlendioxidspeicher

Die Verwendung von Holz bei Gebäudekonstruktionen steigt kontinuierlich. „Der Klimawandel ist wohl die größte gesellschaftliche Herausforderung der Zukunft. Da ist natürlich die Eigenschaft von Holz als CO2-Speicher hervorzuheben“, sagt Dr. Thomas Uibel, neben Dr. Wilfried Moorkamp und Dr. Leif Arne Peterson einer von drei Holzbauprofessoren an der FH Aachen. „Ein Kubikmeter Nadelholz speichert ca. 918 Kilogramm CO2. Das Holz der Buche bringt es sogar auf etwa 1,25 Tonnen.“

Die FH Aachen erkannte früh: Vor allem bei Ingenieurbüros und Holzbauunternehmen wächst mit steigender Holzbauquote der Bedarf an Fachleuten. Sie benötigen z. B. Tragwerksplaner, die sich mit den spezifischen Materialeigenschaften dieses Roh- und Werkstoffs auskennen. Die Hochschule legte daher im Wintersemester 2010/11 den Studiengang Holzingenieurwesen neu auf. Im Durchschnitt starten jeden Herbst 45 angehende Holzingenieure, zuletzt waren es sogar 73.

Bei der Ausbildung kooperiert die FH Aachen mit dem Berufsbildungszentrum Euskirchen (BZE). Neben dem Kreis Euskirchen sind die Handwerkskammer Aachen und die IHK Aachen, zwei weitere Gründungsmitglieder des ABE, Träger des BZE. In Deutschland bilden außer der FH Aachen auch die Hochschulen in Hildesheim und Rosenheim Holzingenieurinnen und Holzingenieure für das Bauwesen aus.

Holz statt Beton: Nachverdichten und Aufstocken in Innenstädten

Uibel verweist auch auf das vorteilhafte Verhältnis von Eigengewicht und hoher Tagfähigkeit des nachwachsenden Rohstoffs. „Da es sich um leichte Bauteile handelt, ist der CO2-Ausstoß beim Transport vergleichsweise niedrig, ebenso bei der Bearbeitung.“ Auch die Herstellung des Baustoffes erzeugt viel weniger Emissionen als die von Beton und Stahl. „Durch den hohen Vorfertigungsgrad eignet sich Holz hervorragend zum Nachverdichten in Innenstädten. Dies gilt sowohl für das Schließen von Baulücken als auch das Aufstocken von Gebäuden“, so Uibel.

Bei im Nachhinein aufgebrachten zusätzlichen Stockwerken punktet Holz wiederum mit seinem geringen Gewicht. „Auch wenn das Material nicht ganz günstig ist, stellt der Rohstoff dennoch oft die kostengünstigere Lösung dar, wenn man die Bauzeit mitberücksichtigt“, erläutert der Holzbauprofessor. „Es gibt keine Aushärtungszeiten auf der Baustelle wie bei Betonbauten. Diese Zeitersparnis spielt gerade in innerstädtischen Bereichen eine wichtige Rolle.“ Die Landesbauverordnung NRW erlaubt seit 2019 auch mehrgeschossige Holzbauten.

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Zirkuläres Bauen mit Cradle-to-Cradle®

Das Cradle-to-Cradle®-Konzept (C2C) wurde ursprünglich für kurz- und mittellanglebige Produkte erdacht und dann ins Bauwesen transferiert. Ein C2C-zertifiziertes Gebäude ist so konstruiert, dass die einzelnen Bauelemente nach Ende der Gebäude-Lebensdauer erneut in einen biologischen oder technischen Kreislauf einfließen können. Daher bezeichnen Befürworter dieses Konzepts C2C-Gebäude häufig als Materiallager der Zukunft.

Bei einem C2C-Bauwerk werden zudem der CO2-Ausstoß und der Gebrauch von nicht recycelbaren Materialien minimiert – von der Fassade bis zum Fußbodenbelag. Der Entwurf zu einem der ersten und vielfach ausgezeichneten C2C-Bauwerk in Deutschland stammt von kadawittfeldarchitektur. Es handelt sich um das RAG-Verwaltungsgebäude auf dem Gelände der Zeche Zollverein in Essen.

Vorzeigeprojekt The Cradle

Aktuell gilt The Cradle im Düsseldorfer Medienhafen als zukunftsweisendes Projekt dieser Art. Die Fertigstellung wird für Ende 2022 erwartet. Der Entwurf stammt von HPP Architekten, als Projektentwickler fungiert Interboden. Das Bürogebäude wird in Holzhybridbauweise errichtet. Die rautenförmige Holzfassade dient als Tragwerk und Schattenspender. Holzelemente und Steckverbindungen aus Hartholz ersetzen weitgehend Materialien wie Beton und Kunststoff bzw. übliche Verbundwerkstoffe.

Durch Anbindung an die Madaster-Plattform, ein globales Online-Kataster für Materialien und Bauprodukte, lässt sich The Cradle als werthaltiges Rohstoffdepot abbilden und sein Restwert jederzeit ermitteln. Die zirkuläre Bauweise eröffnet auf diese Weise eine ganz neue Ebene der Wirtschaftlichkeit, und vor dem Hintergrund steigender Rohstoffpreise ergeben sich Potenziale einer positiven Wertentwicklung.

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Neue Verbindungen entstehen: C2C trifft auf BIM

Das Büro HPP Architekten wurde für den Entwurf mehrfach ausgezeichnet. „The Cradle ist eines der ersten Cradle-to-Cradle®-Projekte, bei dem der Material Passport mit dem BIM-Modell verknüpft ist und damit sämtliche Daten für einen späteren Rückbau digital zur Verfügung stehen. Das ermöglicht eine Bewertung hinsichtlich ökologischer Folgewirkungen wie Gesundheitsklasse, Dekonstruktionseinstufung und Rezyklierbarkeit“, erläutert Gerhard G. Feldmeyer, Geschäftsführender Gesellschafter der HPP Architekten GmbH.

Digitalisierung und Nachhaltigkeit können also in der Bau- und Immobilienwirtschaft effektiv zusammenwirken. Generell könnte ressourcensparendes Bauen durch die Verknüpfung mit digitalen Tools und Methoden wie BIM einen großen Schub erleben. Der digitale Zwilling im 3D-BIM-Modell bildet den gesamten Lebenszyklus ab – von der Entstehung über die Bewirtschaftung bis zum Abriss.

Faktor X: Wie viele Ressourcen beansprucht ein Gebäude?

Auch die Methode Faktor X ist vor dem Hintergrund der drei großen Herausforderungen Klima-, Rohstoff- und Energiewende einzuordnen. „Faktor X ist ein Bewertungssystem für ökologische Nachhaltigkeit. Es misst anhand von nur drei Kriterien, wie ein Gebäude im Vergleich zu einem Referenzhaus dasteht: CO2-Emission, Verbrauch von nicht erneuerbaren Primärressourcen und Inanspruchnahme von nicht nachwachsenden Rohstoffen“, erläutert Klaus Dosch, Leiter der Faktor X Agentur der Entwicklungsgesellschaft indeland.

Eine absolute Skala, der Ressource Score, nimmt die Funktion eines Vergleichshauses ein und ermöglicht so auch überörtliche Vergleiche. Gemessen wird über einen 50-jährigen Gebäude-Lebenszyklus. Faktor X erweitert folglich die Energieeffizienz um den Klimaschutz und den Schutz der größtenteils endlichen Ressourcen. Praktisch bedeutet das zum Beispiel, dass regionale, nachwachsende und/oder recycelte Baustoffe eingesetzt werden und dass besonders langlebig und wartungsfreundlich konstruiert wird.

Dahinter steht das Ziel, die Ressourceneffizienz eines Bauwerks um einen Faktor X zu erhöhen: Faktor 2 würde den Ressourcenverbrauch gegenüber dem Vergleichsgebäude halbieren, Faktor 4 auf ein Viertel verringern. Oder anders ausgedrückt: Die Ressourceneffizienz würde verdoppelt bzw. vervierfacht.

Faktor-X-Leitlinien, unter anderem zur Gebäudelage, Bauweise und Planung der Beleuchtung, unterstützen dabei die möglichst ressourceneffiziente Umsetzung konkreter Bauvorhaben. Derzeit entsteht das siebte Baugebiet mit durchschnittlich 60 Ein- und Mehrfamilienhäusern, die nach den Faktor-X-Kriterien bewertet werden.

Gemeinsam mit der Faktor X Agentur und dem Institut für Rezykliergerechtes Bauen der RWTH Aachen University baut der ABE derzeit ein Netzwerk für ressourceneffizientes und kreislaufgerechtes Bauen im Rheinischen Revier auf. Im durch den Bund geförderten Projekt „Regionales Netzwerk Ressourceneffizientes Bauen“ (ReNeReB) entsteht unter anderem eine digitale Informationsplattform. Sie erfasst und vermittelt Bauprodukte, Gebäude und Akteure.

Faktor X Siedlung im Neubaugebiet Seeviertel, Inden (Rheinisches Revier), Bild: Klaus Dosch

Holzbauforschung und Modulbau für mehr Nachhaltigkeit

Seit 2019 baut die FH Aachen das Aachener Zentrum für Holzbauforschung (AZH) in Simmerath (Eifel) auf. Für die anwendungsbezogene Forschung gibt es ein Holzbaulabor, dazugehörige Werkstätten und Klimaräume. Erforscht werden z. B. Laubholzverwendung, holzsparende Bauweisen, Hybrid- und Massivholzbauweisen, Verbindungstechnik, Bauphysik und Dauerhaftigkeit. Die EU und das Land NRW fördern das AZH ebenso wie das FH-Projekt „Flexible Module in Holzbauweise“ (FlexiMoH). Hier entstehen hochwertige Gebäude in modularer Holzbauweise. Die Module können durch Umrüstung in mehreren Zyklen unterschiedlich und an verschiedenen Standorten genutzt werden.

Ein solcher Ansatz trägt sowohl dem Klimaschutz als auch sich verändernden Bedarfen der Gesellschaft und der Entwicklung neuer Technologien zwischen der Erst- und der Anschlussverwendung Rechnung.

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© INTERBODEN Gruppe/HPP Architekten; Visualisierung: bloomimages
Autor

Dr. Kerstin Burmeister studierte und promovierte an der RWTH Aachen. Seit 1998 betreibt die Wirtschaftswissenschaftlerin ein Büro für Konzept, Text, Redaktion und Projektbegleitung am Standort Aachen. Den AACHEN BUILDING EXPERTS e. V. unterstützt sie seit dessen Gründung im Jahr 2016 bei der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit.(Bild:: Sabine Schmidt, das-design-plus.dekerstin-burmeister.de

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