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Warum BIM Standards braucht


Weshalb noch fehlende Standards aber nicht länger am Einsatz von BIM hindern sollten. Im Gespräch mit Philipp Albrecht, Leiter bei DIN für das Geschäftsfeld BIM, und Dr. Jan Tulke, Geschäftsführer der planen-bauen 4.0 GmbH. Teil 2.
 
Interview: Ralf-Stefan Golinski
 
Bleiben wir aber mal bei Projekten im deutschsprachigen Raum. Und versetzen wir uns in die Situation kleiner und mittlerer Büros und Betriebe. Da ist eine schwierige Orientierung und gewiss auch Verunsicherung ja vorprogrammiert. Müssen die Firmen jetzt besser einen eigenen "Standardisierungs-Beauftragten" einstellen?
 
Albrecht: In großen Unternehmen gibt es bereits „Standardisierungs-Beauftragte“, die die normungsstrategische Ausrichtung von Unternehmen lenken und auch für das konzernweite Normenmanagement verantwortlich sind. Das ist für KMU natürlich schwer denkbar und es gibt bereits digitale Lösungen, die die Unternehmen bei ihrem Normenmanagement unterstützen. Insbesondere für die BIM-Normen haben wir jetzt eine Übersicht veröffentlicht, die für die Unternehmen kostenfrei einsehbar ist und mit der sie einen Überblick zu den bestehenden BIM-Normen erhalten.
Für KMU und insbesondere auch Verbände, in denen KMU organisiert sind, bieten wir spezielle Informationsangebote, damit diese sich branchenspezifisch informieren können.
 
Aber unabhängig von den BIM-Normen, ist es wichtig, dass Bauteilgruppen, Bauteile und Merkmale standardisiert und widerspruchsfrei beschrieben sind und digital angeboten werden. Das Kernstück von BIMdas „I“, für Information, spielt hier die entscheidende Rolle. Mit der DIN BIM Cloud bieten wir eine Lösung, mit der genau solche Daten softwareunabhängig angeboten werden (siehe Infokasten).
 
Und das ist ein großer Vorteil für die angesprochenen KMU. Sie müssen ihre Software weder umstellen noch müssen sie Zeit, Ressourcen und/oder Know-how in den Aufbau einer detaillierten Merkmaldatenbank investieren. Sie können einfach die widerspruchsfreien und validen Daten der DIN BIM Cloud nutzen und diese Informationen direkt in ihrer Autorensoftware an das BIM-Modell anfügen.
 
Dr. Tulke: Und für BIM Projekte der öffentlichen Hand entwickelt und betreibt BIM Deutschland das BIM Portal (siehe Infokasten). Hierrüber werden zukünftig die Datenanforderungen für öffentliche Bauprojekte des Bundes entwickelt und veröffentlicht. Dies unterstützt ausschreibende Stellen dabei, detaillierte Vorgaben zu machen und bundesweit über den Hochbau und die verschiedenen Verkehrsträger hinweg eine harmonisierte Vorgehensweise zu etablieren. Dabei wird auf die Unterstützung offener Datenstandards und Normen geachtet, um die Wertschöpfungskette - und insbesondere auch KMU - bei dem Umstieg auf eine digitalen Projektabwicklung zu unterstützen.
 
Aber natürlich ist es wichtig, dass sich jedes Unternehmen frühzeitig mit den bevorstehenden Veränderungen befasst, um später nicht den Anschluss zu verlieren. Darüber hinaus sind die neuen Möglichkeiten, die sich aus der Nutzung digitaler Modelldaten ergeben, jedoch auch als Chance für optimierte Abläufe und neue Geschäftsmöglichkeiten zu sehen.
 
Wie weit sind denn die Anstrengungen für die BIM-Normierungen, und wo sehen Sie noch die größten Lücken? Vollständig werden die ja wohl nie sein.
 
Albrecht: Ein aktueller Stand der BIM-Normen ist veröffentlicht. Zudem wurden bereits neue Themenfelder für die Normung in der Normungsroadmap BIM identifiziert. Jetzt gilt es, die hier identifizierten Handlungsempfehlungen umzusetzen, kontinuierlich zu aktualisieren und die Umsetzung an die zukünftigen Entwicklungen anzupassen.
 
Einen Anspruch auf Vollständigkeit haben wir nicht, aber einen Anspruch darauf, die Bedürfnisse der BIM-Akteure bestmöglich abzudecken, neue Themen frühzeitig in die Standardisierung zu bringen, um diese Themen perspektivisch und langfristig in der Normung zu verankern.
 
Dafür sind wir auf den Input der Expertinnen und Experten der Branche angewiesen, denn die Inhalte von Normen und Standards werden ausschließlich von den Experten erarbeitet, DIN steuert und moderiert diesen Prozess. Deshalb ist es wichtig, dass sich auch die späteren Anwender von Normen und Standards bereits in den Erstellungsprozess der Dokumente mit einbringen – damit diese so praxistauglich und anwenderfreundlich wie möglich werden.
 
Dr. Tulke: Ich sehe großen Bedarf in der weiteren Detaillierung der einzelnen BIM Anwendungsfälle. Hieraus werden sich detaillierte Standardisierungsfragen ableiten. Ein wichtiges Feld ist auch die Qualitätssicherung der Modelldaten. Nur wenn die Information verlässlich sind und der erwarteten Struktur entsprechen, können die Projektbeteiligten diese nahtlos nutzen und in ihre Prozesse integrieren. Dies gilt über den gesamten Lebenszyklus und bis hin zum Aufbau eines digitalen Zwillings unserer gebauten Umwelt.
 
Bezüglich einer Vollständigkeit der Normung möchte ich zu bedenken geben, dass wir mit der Einführung der modellbasierten Arbeit gerade erst die Grundlage für weitere zukünftige Innovationen legen. Ich denk dabei insbesondere an die Möglichkeiten von Assistenzsysteme und der Automatisierung durch Robotik, Internet der Dinge und künstliche Intelligenz. Das Anwendungsfeld von Standards wird sich hieraus noch erweitern.
 
Wenn Sie das nochmal etwas ausführen: In welchen Themenbereichen rechnen Sie mit weiteren Standardisierungsnotwendigkeiten – Stichwort Nachhaltigkeit, EU-Taxonomie etc …?
 
Albrecht: Insbesondere bei der Verknüpfung von Themenbereichen, Technologien und Branchen sehe ich große Standardisierungspotenziale, damit BIM akteurs-übergreifend funktioniert. Im ersten Schritt sollte die Zusammenarbeit von allen BIM-Beteiligten über den Gebäudelebenszyklus hinweg sichergestellt werden. Das heißt, dass beispielsweise die Facility Manager auf den BIM-Modellen der Planer und Architekten aufbauen können und diese als Grundlage für den Anwendungsfall FM nutzen können.
 
Selbstverständlich ist auch Nachhaltigkeit und Klimaschutz ein großes Thema. Bestehende Normen und insbesondere die Daten aus der DIN BIM Cloud können genutzt werden, um Informationen zu verbauten Materialien und deren Eigenschaften transparent darzustellen. Daraus wiederum lassen sich Bewertungen von Bauwerken hinsichtlich Nachhaltigkeit, Recyclingfähigkeit, Circular Economy etc. ableiten.
 
Dr. Tulke: Nachhaltigkeit und der Aufbau einer Kreislaufwirtschaft im Bauwesen wird ohne standardisierte Informationen über Bauwerke, die enthaltenen Bauprodukte sowie die Herstellungs-, Logistik-, Betriebs- und Nutzungsprozesse kaum möglich sein. 
 
Schließlich doch eine "never ending story", eine Sisyphos-Arbeit. Aber wie schrieb schon Albert Camus? Man solle sich Sisyphos als glücklichen Menschen vorstellen. Wieviel Spaß macht denn Ihnen das Wirken in Abstimmungsrunden und Gremien? Was ist Ihr persönlicher Ansporn, sich immer wieder einzubringen?
 
Albrecht: Wir hoffen natürlich sehr, dass die Experten, die in unseren Gremien und Ausschüssen arbeiten, die Normungsarbeit nicht als Sisyphosarbeit, also eine von der Unterwelt ausgesprochene Strafe, empfinden! (lacht)
 
Aufgrund der hohen Dynamik in dem Themenfeld, der rasanten technologischen Entwicklungen und den immer wieder aufkommenden Innovationen, wird natürlich auch die Normungs- und Standardisierungsarbeit weiterhin in Bewegung bleiben. Das schöne ist aber, dass man nicht kurz vorm Ziel scheitert und „der Fels zurückrollt“, sondern dass neue Lösungen erarbeitet werden oder bestehende überarbeitet und verbessert werden. Um bei der Analogie des Berges zu bleiben, ist es vielmehr eine Gipfelwanderung mit immer wieder neuen Herausforderungen, neuen Themen, neuen Expertinnen und Experten. Das macht die ganze Arbeit sehr abwechslungsreich und interessant – sowohl für uns als neutrale Moderatoren und DIN-Mitarbeitende als auch für die Experten in unseren Gremien.
 
Dr. Tulke: Es ist einerseits die Erkenntnis, dass man nur gemeinsam etwas etablieren kann, was allen gerecht und im Markt akzeptiert wird. Und andererseits ist es die Möglichkeit, eigene Expertise in einem Bereich einbringen zu können, in dem noch viel Gestaltungsspielraum ist. Und natürlich ist es auch der Austausch mit anderen nationalen und internationalen Fachleuten mit unterschiedlichem Hintergrund, der zu eigenem Erkenntnisgewinn beiträgt.
 
Interviewpartner:
Philipp Albrecht leitet bei DIN das Geschäftsfeld BIM und ist davon überzeugt, dass Open BIM nur mit Normen und Standards funktioniert, weil diese dafür sorgen, dass die Beteiligten Vertrauen in die Technologie haben und dadurch die Digitalisierung im Bauwesen vorangetrieben wird.
 
Dr. Jan Tulke ist Geschäftsführer der planen-bauen 4.0 GmbH, Obmann des DIN Arbeitsausschusses NA 005-13-01 Strategie im Fachbereich BIM und federführend bei BIM Deutschland. Als Experte ist er seit vielen Jahren in der BIM Beratung und Standardisierung sowie der BIM Strategieentwicklung für öffentlichen Auftraggeber tätig.
 
Auf der digitalBAU finden Sie: BIM Deutschland, Halle 4-2. Stand 432; planen-bauen 4.0 GmbH, Halle 4-2. Stand 135, Forenprogramm 31.05.2022 12:30 – 14 Uhr in Halle 5;
DIN Deutsches Institut für Normung e.V., Halle 4-2. Stand 456.
 
Weiterführende Links:
Normungsroadmap BIM. Sie legt die zukünftige strategische Ausrichtung der Normung und Standardisierung im Bereich BIM fest.
www.din.de/go/normungsroadmapbim
 
BIM Deutschland. Downloads zu Berichten, Leitfäden und anderen hilfreichen Veröffentlichungen zu BIM.
www.bimdeutschland.de/service/downloads
 
Die DIN BIM Cloud - Ihre Vorteile.
www.din-bim-cloud.de/
 
Das BIM-Porta: Digitale Werkzeuge und Methoden für die Bauwelt.
www.bimdeutschland.de/leistungen/bim-portal
 
Standardisierung und Normierung bei planen-bauen4.0.
planen-bauen40.de/leistungen-standardisierung-und-normierung/

BIM-Normen online.

www.beuth.de/bim