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16.11.2021 | Interview: Ralf Golinski

„Wo CDE draufsteht, muss nicht CDE drinnen sein“

Interview zur ersten BSI Kitemark-Zertifizierung für CDE

Exklusivinterview mit Frank Weiß, Co-Founder des Start-Ups conject und Senior Direktor für Strategie, Neue Produkte, BIM und Innovation bei Oracle. Er spricht über die Bedeutung von CDE, Standards und Zertifizierungen für alle, die BIM einsetzen (wollen).

Frank Weiß setzt sich seit 2000 für einen durchgängigen digitalen Immobilien Lebenszyklus ein – für die Kollaboration im Bauwesen: Erst als Co-Founder des Start-Ups conject und heute als Senior Director für Strategie, Neue Produkte, BIM und Innovation bei Oracle.  Er wirkt bei buildingSMART International und hat mehrere Standardisierungsinitiativen ins Leben gerufen. Nun erzielte er die weltweit erste BSI Kitemark-Zertifizierung für ein CDE. FIND THE ENGLISH VERSION HERE!

Herr Weiß, vor 21 Jahren haben Sie die conject AG mitgegründet, hatten Sie schon da BIM im Sinn?

In 2000 waren wir als Gründer von der Idee getrieben, die Digitalisierung von Planen, Bauen und Betreiben voranzutreiben. Unser Business Plan 1.0 sah in internetbasierten Lösungen einen enormen Hebel, die Zusammenarbeit in unserer Industrie zu verbessern. Nach der ersten Digitalisierungswelle durch CAD-Systeme, ging es da um ganzheitliche Ansätze. Zwar gab es BIM bereits, doch die Herausforderung lag erstmal im Information Management, also einem durchgängigen Informationsfluss über Phasen hinweg.

Heute arbeiten Sie für eine globale IT-Firma. Hat Ihr Wirken immer noch mit der Ursprungsidee bzw. BIM zu tun?

Ja, in der Tat. Oracle ist bekannt für seine Datenbanksysteme, Middleware- und Cloud-Lösungen. In der Construction and Engineering Global Business Unit, der ich zugehöre, konzentrieren wir uns aber mit ca. 2.500 Mitarbeitern auf die weitere Digitalisierung der Bau-industrie beim Planen und Bauen und Betreiben – vor allem mit unserem Produkt Aconex CDE – in das übrigens auch Erfahrungen ehemaliger conject-Mitarbeiter eingegangen sind.

Über CDE (Common Data Environment) wollen wir heute auch vor allem sprechen. Was ist darunter konkret zu verstehen?

Bereits der Name CDE – Gemeinsame Datenumgebung – sagt es schon: Es geht um das Zusammenarbeiten, und es geht um Daten oder Informationen. In der gelebten Praxis ist eine CDE-Plattform die Umgebung, in der diese Zusammenarbeit stattfindet. Das CDE ist typischerweise eine Cloud-Lösung, die Datenhaltung, Projektmanagementfunktionen und Workflow-Management in Bezug auf modellbasierte Zusammenarbeit umfasst. Abläufe im Workflow, wie das Liefern und Prüfen von Informationen, können durch Automatisierung stark vereinfacht und beschleunigt werden. Hierfür braucht es Modell-Orientierung, Dokumenten-Management, Workflows, Mail, Reporting, Prognosen mit Dashboards, aber auch Integration zu Autoren- oder Qualitätssystemen. Die große Mehrzahl an Projektteilnehmern benötigen einfache Lösungen für den Austausch und die Zusammenarbeit, ohne Spezialkenntnisse zu besitzen. Hier hilft das CDE.

 

Frank Weiß ist seit 2018 als Senior Direktor global verantwortlich für Strategie, Neue Produkte, BIM und Innovation bei Oracle Construction and Engineering. Er vertritt Oracle zudem als Strategic Advisory Council Member bei building-SMART International und hat mehrere Standardisierungsinitiativen wie DIN Spec 91391 oder openCDE APIs ins Leben gerufen. Im Jahr 2000 war er Co-Founder der conject AG für Projekt-kollaboration im Bauwesen.


Wer sind denn die typischen Anwender?

Unsere Kunden kommen aus allen Segmenten der Privatwirtschaft und der öffentlichen Hand. Generalplaner, Projektmanagement- und Bauunternehmen, z. B. aus den Bereichen Infrastrukturbau: Straßen, Flughäfen, Wasserstraßen, Krankenhäuser, Öl, Gas und erneuerbare Energien, z. B. Windparks.

Nun zeichnet sich die Bauwirtschaft durch eine starke Fragmentierung aus. Welche Bedeutung hat das für Nutzung und Verbreitung von CDE?

Etwa 90 Prozent der deutschen Unternehmen bestehen aus weniger als 20 Personen. Und auch wegen fachlicher Spezialisierungen ist die Bauindustrie stark fragmentiert. Das hat zu isolierten „Informations-Silos“ beitragen. Zusammenarbeit und nachvollziehbarer Datenaustausch sind daher entscheidende Hebel in Projekten.
Für aktives Informationsmanagement bedarf es da einer CDE-Plattform, die als Single Source of Truth (Einzige Wahrheitsquelle) fungiert. Wird eine Plattform von den Anwendern nicht als vertrauensvolle Lösung akzeptiert, tendieren die dazu „Sicherheitskopien“ anzulegen. Es kommt zu Doppelt- und Dreifach-Speicherungen, was natürlich eine nachvollziehbare Datenhaltung unterläuft. Wir brauchen daher sichere und leistungsfähige CDE-Lösungen, die als Ökosystem Fach-anwendungen aktiv einbindet.

 

"CDEs are obviously a huge part of what we do: producing information and managing it through the project lifecycle“.
Fergus Hohnen, Global Manager-Design Technology, Woods Bagot

►    CDE in Reality - Oracle Roundtable mit Eldad Asulin (Multiplex), Mohammad Aldawood (The Red Sea Developemnt Company), Florian Friedrich (VAMED), Fergus Hohnen (Woods Bagot), Aidan Mercer und Leon van Berlo (buildingSMART international)

Auch die kleineren Unternehmen arbeiten in BIM-Projekten mit. Macht das CDE auch für sie guten Sinn?

Unsere Bauwirtschaft ist stark mittelstandsgeprägt. KMU spielen in unserer Bauwirtschaft zum Beispiel als Subunternehmer in größeren Projekten eine sehr wichtige Rolle. Auch sie müssen in BIM-Projekte eingebunden werden. Mit einer CDE-Plattform ist die Einbindung von KMU in BIM-Projekte sehr einfach möglich. Dafür muss nicht zusätzlich Software beschafft werden, denn ein Echtes CDE arbeitet browserbasiert. Generalunternehmer und Bauherren können ihre Nachunternehmer auf die Plattform einladen, und diese können dann praktisch sofort und einfach in die Zusammenarbeit integriert werden.

Jetzt haben Sie in diesem Kontext eine brandneue Nachricht für die BIM-Interessierten. Erstmals wurde ein CDE nach einer ISO 19650 Zertifizierung nun auch nach DIN SPEC 91391 BSI Kitemark zertifiziert. Was ist daran so besonders?

Das ist eine Weltneuheit, Aconex erhielt vor wenigen Tagen das BSI Kitemark-Zertifikat. Bedeutend ist das vor dem Hintergrund, dass der BIM-Markt sehr stark wächst, gleichwohl BIM noch nicht die dominierende Methode ist. Es herrscht immer noch Unsicherheit hinsichtlich einzusetzender Technologien. Daher braucht es im Markt noch mehr Klarheit zur Qualität der angebotenen Lösungen. Und da kommt das BSI Kitemark-Zertifikat ins Spiel: Denn bei einer Auswahlentscheidung können drei Dinge helfen: 1. Standards, weil sie mehr Klarheit schaffen können. 2. Konformitätserklärungen seitens Unternehmen und Herstellern und 3. Bestätigung durch einen neutralen Zertifizierer. So entsteht Vertrauen, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Durch das Zertifikat weiß jeder, da steht CDE nicht nur drauf, sondern da ist CDE auch drin.

 

Unser BSI Kitemark-Zertifikat ist eine Weltneuheit: Damit haben wir die Benchmark für den CDE-Markt gesetzt.“ Frank Weiß, Direktor Product & Innovation, Oracle Construction and Engineering

Auch die DIN SPEC 91391 sagt mit über 200 Kriterien bereits viel über CDE aus. Warum wurde auch sie bei der Zertifizierung berücksichtigt?

Wer sich intensiver mit BIM beschäftigt, kennt die britischen PAS 1192 Normen, die Übrigens zu Vorlagen einer ISO 19650-Normen geworden sind. Die DIN SPECs sind das deutsche Gegenstück zu PAS-Normen. Das Vorstandsmitglied von DIN, Daniel Schmidt, meinte dazu: „Die Aufnahme der deutschen DIN SPEC 91391 in das Zertifizierungsprogramm unseres Partners British Standards Institution BSI zeigt die hohe Bedeutung und Qualität des Standards und wird die internationale Durchdringung der DIN SPEC 91391 immens voran-treiben!“ Das bewirkt einiges, denn nun können wir das Thema auf europäischer Ebene bei der CEN und international bei buildingSMART weiter voranbringen.

 

„It's not like a DropBox where we just upload a BIM file.”
Mohammad Aldawood, BIM Manager, The Red Sea Development Company

Fachinterview zur DIN SPEC 91391. Inga Stein-Barthelmes im Gespräch mit Philipp Albrecht DIN und Frank Weiß ORACLE

Und was umfasst die BSI Kitemark Zertifizierung genau?

Sie umfasst ein sehr breites Spektrum an Prüfkriterien. Validiert wird nicht nur die reine CDE-Funktionalität, wie gerade dargelegt entsprechend der DIN SPEC. BSI Kitemark umfasst auch die Bereiche Hosting, also wie sicher unsere Data Center sind. Da konnten wir auf die Ergebnisse unserer ISO 27001 Zertifizierungen zurückgreifen und darlegen, dass die Daten entsprechend der jeweils lokalen Sicherheitsanforderung gespeichert werden. Ebenso in Visier der Prüfer von BSI Kitemark war Health and Safety. Beleuchtet wurde zudem, wie wir unsere Anwender bei Neuentwicklungen beteiligen und wie Nutzer Hilfestellung durch unser weltweites Support-Team bekommen. Weitere Bereiche betrafen u. a. auch die Modellkoordination, also wie die Teilergebnisse der Fachplaner auf dem Aconex CDE zusammengeführt, geprüft und gefundene Fehler in einem koordinierten Prozess behoben werden – und ob wir die offenen Formate IFC und BCF einsetzen.

Wo sehen Sie den konkreten Nutzen für Kunden und Anwender? Was bringt ihnen die Zertifizierung bzw. wo hilft sie?

Standards beschreiben die vielzitierten „Best Practices“, also bewährte Vorgehensweisen für die BIM-Anwendung. Das ist gerade bei einem Markt wichtig, in dem bestimmte Themen wie BIM oder CDE noch nicht klar genug sind. Wenn man sich auf Bewährtes beziehen kann, fällt der Einstieg sehr viel leichter und genau dieser Bezug wird mit der Zertifizierung erreicht. Es ist ein bekanntes Problem, dass jeder behaupten kann, dass er Best Practices und Standards einhält. Vertrauen und Sicherheit schafft da ein autorisierter Zertifizierer, der das seriös und kompetent prüft.

Viele halten BIM ja noch für „Neuland“. Was kann man sich da unter Best Practices vorstellen?

Wenn ich mir Aussagen unserer Kunden vergegenwärtige, die vorwiegend modellorientiert arbeiten, dann beziehen sie ihre Best Practices auf BIM Projekte. Dort werden die oft beschworenen Aspekte und Vorteile in der Praxis gelebt.

Schauen Sie sich heute die Planungsprozesse an, finden Sie riesige Qualitätsunterschiede im Umgang mit Informationen. Planungen sind oft nicht gut genug aufeinander abgestimmt, weil wichtige Informationen zwischen den Planern nicht ausgetauscht werden. Im Ergebnis sind Kosten, Qualität und Termineinhaltung für den Bauherrn oft unbefriedigend. Und das kommt häufig vor, obwohl die Einzelnen in ihren „Silos“ gute Arbeit leisten.

Das Erstellen guter 3D- oder BIM-Modelle alleine reicht nicht aus. Die vielen Abhängigkeiten zwischen den Gewerken und Fachgebieten erfordert einen durchdachten Koordinationsprozess. Der Bauherr war in vielen Fällen bisher recht hilflos: er konnte nur hoffen, dass sich die Planer untereinander ausreichend koordinieren, damit es nicht zu schweren Problemen auf der Baustelle kommt. Mit etablierten BIM-Standards gehört dieses „Prinzip Hoffnung“ zunehmend der Vergangenheit an. Der Bauherr kann jetzt die Anwendung von BIM-Standards und den Einsatz von standardisierten Produkten in seinen Ausschreibungen unter Berufung auf eben diese Standards und Zertifizierungen einfordern.

Für Marktteilnehmer ist es schwer, die BIM-relevanten Spezifikationen, Standards und Zertifikate zu überblicken. Versuchen Sie es mal.

Für einen besseren Überblick kann ich stets die marktübergreifende Plattform BIMSWARM  empfehlen, die von planen-bauen4.0 veröffentlicht wurde. Dort ist z. B. auch das BSI-Zertifikat verzeichnet. Man sollte auch wissen, dass wir international die ISO 19650 Reihe zum Informationsmanagement mit BIM haben. Diese soll sich am Ende aus sechs Teile zusammensetzen, von denen vier bereits erschienen sind: 1 Grundlagen, 2 Informationsmanagement in der Planungs-, Bau- und Inbetriebnahmephase, 3 Betriebsphase und 4 Informationsaustausch. Teil 5 behandelt Sicherheitsbelange von BIM und in 6 wird es um „Health and Safety“ gehen. Wir sehen hier ein sehr weites Spektrum, und genau dieses ist auch Gegenstand der Zertifizierung. In Deutschland wird sie als DIN 19650 gelebt.

Über die DIN SPEC 91391 haben wir schon eingehend gesprochen. Sie hat noch einen zweiten Teil, in dem es um offene Schnittstellen von CDEs geht. Diese Arbeit wird derzeit zweigleisig weitergeführt. Eine Arbeitsgruppe bei der europäischen Normungsbehörde CEN entwickelt einen Standard für offene Programmierschnittstellen. Eine andere Arbeitsgruppe entwickelt bei buildingSMART international einen  Prototyp für einen offenen Datenaustausch zwischen CDEs bzw. CDEs und anderen Anwendungen. Das geht Hand-in-Hand und unterstreicht, dass man es mit open BIM und dem CDE als offenes Ökosystem ernst nehmen muss.

 


Worauf müssen sich die Anwender und worauf die Softwarehersteller von BIM und CDE in Zukunft einstellen? Und was bedeuten diese Entwicklungen für das Erreichen der Klimaziele? Lesen Sie dazu hier den zweiten Teil des Interviews mit Frank Weiss.

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Frank Weiß ist seit 2018 als Senior Direktor Global verantwortlich für Strategie,Neue Produkte, BIM und Innovation bei Oracle Construction & Engineering. Er vertritt Oracle zudem als Strategic Advisory Council Member bei buildingSMART International und hat mehrere Standardisierungsinitiativen wie DIN Spec 91391 oder openCDE APIs ins Leben gerufen. Im Jahr 2000 war er Co-Founder der conjectAG für Projektkollaboration im Bauwesen. (Bild: privat)

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