14.01.2020 |
Marian Behaneck
Auch die Baubranche hat inzwischen die vierte industrielle Revolution eingeläutet. Neue Technologien versprechen rationellere Abläufe, mehr Termin- und Kostensicherheit, mehr Produktivität und Qualität.
Bisher bestimmen Medienbrüche, Mehrfacheingaben, mangelnde Absprachen zwischen Projektbeteiligten, unterschiedliche Kommunikationswege, Datenformate und Software-Werkzeuge häufig den Planungs- und Baualltag. Fehler, Termin- und Kostenüberschreitungen sowie geringere Produktivität in der Baubranche sind die Folge. Während in anderen Industriezweigen durchgängige digitale Prozessketten – von der Konzeption über die Planung und Entwicklung bis zur Fertigung – längst Standard sind, gibt es am Bau noch Aufholbedarf.
Mit BIM, 4D- und 5D-Simulationen können Prozessabläufe auf der Baustelle im Vorfeld visualisiert und optimiert werden (Bild: Autodesk)
Mit anderen Industriezweigen gleichziehen muss die Baubranche, denn auch sie hat sich den Herausforderungen der Globalisierung, Urbanisierung, des Klimawandels, der Ressourcenverknappung, des demographischen Wandels und weiterer Entwicklungen zu stellen. Die Baustelle 4.0 verspricht Besserung, doch die vierte industrielle Revolution auf der Baustelle steht hierzulande erst am Anfang.
Industrie 4.0 auf der Baustelle?
Natürlich lassen sich industrielle Fertigungsabläufe nicht 1:1 auf Bauvorhaben übertragen. Schließlich werden auf der Baustelle keine Massenprodukte hergestellt, sondern im Rahmen arbeitsteiliger, handwerklicher Tätigkeiten individuelle Projekte meist in der Stückzahl 1 realisiert. Dennoch sind Teile von Industrie 4.0 auf den Baubereich übertragbar. Wesentliche Merkmale von Industrie 4.0 sind unter anderem eine durchgängige Digitalisierung der Fertigung und Logistik, die Vernetzung autonomer, intelligenter Objekte oder die Nutzung selbstlernender Systeme mit dem Ziel, Prozesse zu flexibilisieren und zu optimieren.
Auf den Baubereich übertragen ist ein wichtiger Schritt hin zur Industrie 4.0 die Digitalisierung sämtlicher Bauabläufe und über alle Bauphasen hinweg. Die Digitalisierung umfasst die gesamte Wertschöpfungskette und schließt alle Planungs-, Produktions-, Bestell-, Liefer- und Montageprozesse, aber auch betriebswirtschaftliche Abläufe ein. Werden Daten und Prozesse über alle Gewerke und Bauphasen hinweg konsequent digitalisiert und miteinander vernetzt, lassen sich Arbeitsabläufe optimieren, Produktivität steigern, Datenredundanzen vermeiden und Fehlerquellen minimieren.
Der mobile Abruf von Planungsdaten, respektive die Mobilerfassung von Baustellendaten beschleunigt Prozesse (Bild: Trimble/Tekl)
Einen bedeutenden Schritt in Richtung Digitalisierung hat die Bauplanung mit dem Einsatz von IT-, CAD-, AVA-, Berechnungs- und Simulationswerkzeugen vollzogen. Mit der Planungsmethode BIM (Building Information Modeling) bereitet die Baubranche die nächste Etappe vor.
BIM als Basis digitaler Prozessketten
BIM entwickelt sich mittel- und langfristig zu einem Standard und unterstützt damit den nächsten technologischen Schritt. Auf der Grundlage von 3D-Gebäudedatenmodellen, klar definierten Verantwortlichkeiten, Qualitätsvorgaben sowie Koordinations- und Kommunikationsabläufen ermöglicht BIM statische, bauphysikalische oder energetische Optimierungen. Kosten, Massen und Mengen/Stücklisten werden aus dem 3D-Modell generiert und bei Änderungen aktualisiert, ebenso wie alle aus dem 3D-Modell automatisch abgeleiteten Ausführungs- und Montagepläne. Mit Hilfe von Modellcheckern lassen sich BIM-Modelle nicht nur auf Kollisionen und Fehler überprüfen – sie können darüber hinaus auch für Prüfungen auf Normenkonformität (Brandschutz, Schallschutz, Energieeinsparung, Barrierefreiheit usw.) eingesetzt werden.
Mit 3D-Laserscannern und Drohnen lassen sich auch der Gebäudebestand und das bauliche Umfeld in den BIM-Planungsprozess integrieren. BIM-Modelle ermöglichen virtuelle Baustellenbesichtigungen und verbessern die Kommunikation mit Projektbeteiligten. Simulationen optimieren im Vorfeld Gebäude, deren Statik oder Haustechnik und ermöglichen die Vorwegnahme von Baustellenabläufen oder Nutzungsszenarien. Werden BIM-Fachmodelle (z. B. für Rohbau, Baugelände oder Baustelleneinrichtung) mit den geplanten Vorgängen im Bauzeiten- und Terminplan verknüpft, lassen sich zeitlich-räumliche Abhängigkeiten der Bauprozesse visualisieren und optimieren.
Bei dieser 4D-Simulation werden zeitliche Abläufe über einen definierten Projektzeitraum visualisiert. Dadurch können – ähnlich der Fabrikationsplanung – gewerkübergreifend geometrische oder zeitliche Konflikte aufgedeckt werden. Wird die 4D-Simulation zusätzlich um Baustoff-, Maschinen-, Ressourcen- oder Logistikdaten ergänzt, kann man per 5D-Simulation praktisch das komplette Bauvorhaben im Vorfeld virtuell realisieren und beispielsweise Engpässe bei den Ressourcen oder der Logistik erkennen. Baustellen-, Montage- und Logistikabläufe wie die Baukranaufstellung, die Lagerflächenbelegung oder die Materialanlieferung können so optimiert werden.
Werden Abläufe vorab simuliert, lassen sich später nur schwer zu behebende Fehler rechtzeitig erkennen und Folgekosten vermeiden. Ein kontinuierliches Controlling von Soll- und Ist-Ständen erleichtert die Baustellensteuerung, das Kosten- und Nachtragsmanagement.
Vom BIM zum CIM
Werk- und Detailpläne, Massen-, Mengen- und Stücklisten bilden derzeit den Endpunkt der CAD-/BIM-Planung. Auf dieser Grundlage werden Baustoffe und -produkte bestellt und verbaut. Einen Schritt weiter geht die digitale Fertigung (Computer Integrated Manufacturing/Building, CIM/CIB). Dabei werden Planungsdaten direkt in digitaler Form an die Produktion übergeben. Diese durchgängige Datennutzung ist bereits Standard, beispielsweise im Holz- oder Betonfertigteilbau.
CAD-Konstruktionsdaten bilden dort die Grundlage für die verschiedenen Produktionsschritte: Steuerdaten für Maschinen und Anlagen werden berechnet, Produktionsabläufe optimiert und der aktuelle Status kontinuierlich dem Unternehmens-Ressourcen- und Produktionsplanungssystem (ERP- und PPS) des Unternehmens zurückgemeldet. Über Tablets lässt sich der aktuelle Produktionsstand eines Auftrags abfragen, so dass die Fertigung optimal gesteuert werden kann. Maschinen, Anlagen und Fertigungsabläufe können so schneller auf neue Anforderungen angepasst werden. Unternehmen reagieren flexibler auf Kundenwünsche oder Markterfordernisse.
Eine absolut medienbruchfreie digitale Fertigung, insbesondere komplex geformter Bauteile, ermöglicht die additive Fertigung respektive der 3D-Druck. Diese auf 3D CAD- oder BIM-Konstruktionsdaten basierende Technologie erlaubt eine schnelle Herstellung individueller Einzelobjekte oder Kleinserien, die mit anderen Verfahren nicht oder nur aufwendig produziert werden können. Dabei werden Objekte additiv aus einem flüssigen, pulverförmigen oder festen Ausgangsmaterial aus Kunststoff, Kunstharz, Keramik, Beton, verschiedenen Metallen, Holzwerkstoffen oder anderen Materialien mit Hilfe chemischer und/oder physikalischer Prozesse schichtweise aufgebaut. Erste kommerzielle Anwendungen gibt es bereits und werden sich im Baubereich weiter etablieren.
Mobiles Baustellen-Controlling
Werden Daten direkt auf der Baustelle digital erfasst oder Ressourcen und Material von der Baustelle aus gesteuert, lassen sich Mehrfacheingaben, unterschiedliche Datenstände und Terminverzögerungen vermeiden. Mit mobiler Hard- und Software sowie drahtlosen Kommunikationstechnologien werden Informationen genau dort eingegeben oder abgerufen, angezeigt oder modifiziert, wo sie gerade anfallen oder man sie benötigt. So spart man Zeit und macht weniger Fehler.
Mit dem Einsatz von Mobile Computing sind digitale Prozessketten auf der Baustelle schon heute möglich – von der Auftragserfassung über die Planung und Ausführung bis zur Realisierung/Montage. Immer mehr Bausoftware-Lösungen offerieren dazu mobile Funktionen für Zeiterfassung, Aufmaß, Material-/Ressourcenplanung usw. und ermöglichen so einen durchgängigen Datenfluss – vom Büro auf die Baustelle und zurück.
Auch neue Fertigungssysteme, wie der 3D-Druck, werden in einigen Bereichen Baustellen verändern (Bild: ContourCrafting)
Unterstützt wird der Mobilitätstrend zusätzlich durch internetbasierende Dienste und das Cloud Computing. Programme und Daten, die nicht mehr auf der Festplatte des eigenen PCs gespeichert, sondern auf Servern im Internet abgelegt sind, bieten den Vorteil des plattform-, zeit- und ortsunabhängigen Zugriffs auf Programme und Daten. Virtuelle Projekträume sind Beispiele für Cloud-Computing-Anwendungen und ein wichtiger Baustein der BIM-Planung, mit denen räumlich getrennte Projektteams gemeinsam an Bauprojekten auf einer identischen Datenbasis arbeiten können.
Satellitengestützte Mess- und Steuerungssysteme
Sie ermöglichen schnelle Messungen, einen präzisen Abtrag bei Erdbewegungen, beim Planieren, Asphaltieren oder beim Aushub ohne zeitaufwändige Absteckungen, Verpflockungen und Nachmessungen der Planie. Sie sparen Zeit, Kosten und sorgen für eine Steigerung der Produktivität und Ausführungsqualität.
Zum Einsatz kommen Mess- sowie Anzeige-/Leitsysteme, bei denen Maschinenführer mit Hilfe GNSS-gestützter visueller Display-Informationen Maschinen manuell steuern. Ein weiterer Anwendungsfall sind automatische Systeme, bei denen Satellitendaten und Sensorinformationen in Echtzeit direkt für die Hydrauliksteuerung genutzt werden, um beispielsweise den Schild einer Raupe selbstständig auf Sollniveau zu halten. Je nach System arbeiten Globale Navigationssatellitensysteme (GNSS) zentimetergenau. Damit sind beispielsweise Maschinensteuerungssysteme in der Lage, dem Baggerführer bzw. der Maschine präzise anzugeben, wo und bis auf welches Niveau gegraben werden muss. Eine grafische Anzeige des Cockpit-Displays zeigt den aktuellen Standort, den Sollstandort und den Ort, an dem gegraben oder planiert werden soll.
Maschinensteuerungssysteme werden bereits in vielen Bereichen genutzt, wie beim Bau von Abwasserkanälen, Böschungen, Rampen, beim Fundamentaushub, dem Abtrag an schlecht einsehbaren Stellen, beim Erdbau sowie bei Straßenbauarbeiten. Schnittstellen zu Vermessungsgeräten sowie Planungs- und CAD-Systemen ermöglichen eine direkte Übernahme von Messdaten bzw. digitaler Planungsinformationen.
Smarte Werkzeuge, Maschinen und Bauteile
Smarte, untereinander vernetzte Werkzeuge, Maschinen und Geräte, aber auch Baustoffe und Bauteile sind ein weiterer Baustein der Baustelle 4.0. Sie dokumentieren ihre aktuelle Position und ihren Status, erbrachte Leistungen, verbaute Materialien und Bauteile oder Verbrauchsdaten und geben diese an ERP- und PPS-Systeme weiter. So können Bauunternehmer und Handwerker ihre Betriebsmittel optimal einsetzen und abrechnen, mit dem realen Baustellengeschehen Schritt halten und Entscheidungen auf einer stets aktuellen Datengrundlage treffen.
Das geschieht heute entweder halbautomatisch per mobiler Hardware oder per automatisierter Identifikation und Datenerfassung (Auto-ID). Dabei kommen RFID- (Radio-Frequenz-Identifikation) oder Bluetooth-Systeme zur berührungslosen Objektidentifizierung sowie GPS-Systeme zur Objektlokalisierung zum Einsatz. Werden diese auf oder in Bauteile, Maschinen, Werkzeuge oder Fahrzeuge aufgebracht oder eingebaut, lassen sie sich mit stationären oder mobilen Lesegeräten berührungslos identifizieren und orten. Auf diese Weise erhält man beispielsweise smarte Bauteile mit dezentral gespeicherten Daten, die über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks genutzt werden können. Die Möglichkeiten reichen von der Steuerung von Bau- und Montageprozessen, der Echtzeitverfolgung von Bauteilen (Lieferung, Lagerung, Einbau) und den Abnahmen oder Leistungsverfolgungen über die Geräte-/Maschinenverbuchung, die Wartungs- und Instandhaltungskontrolle, die Rückverfolgbarkeit eingebauter Materialien bis zur Abbruchplanung.
Die technologische Grundlage dazu bildet das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT). Darunter versteht man die Vernetzung realer und virtueller Objekte über IT-Netze. Zusätzlich zur Objektidentifikation können über Sensoren auch Zustände erfasst oder Aktionen koordiniert ausgeführt werden. Geräte und Maschinen können sich so untereinander abstimmen, um beispielsweise Wege, Abläufe oder den Material- und Energieverbrauch zu optimieren.
Wie wird die Baustelle von Morgen aussehen?
Technologien wie BIM, IoT, Mobile und Cloud Computing oder die Robotik werden Baustellen in Zukunft nachhaltig verändern und heute noch visionär erscheinende Szenarien auch hierzulande in greifbare Nähe rücken. Erst nachdem das Bauvorhaben mit Hilfe intelligenter, wissensbasierter Kontroll- und Simulationssysteme wirtschaftlich, bautechnisch, statisch, haustechnisch, bauphysikalisch und energetisch optimiert, auf der virtuellen Baustelle als digitaler Zwilling erstellt und Fehler im Vorfeld beseitigt wurden, beginnt die Bauausführung.
Auf Grundlage des digitalen Modells werden Materialien und Bauteile bestellt, just-in-time auf die Baustelle geliefert und von Kran- und Transportrobotern selbstständig an den Montageort befördert. Anschließend werden die Bauteile von sensorgesteuerten Montagerobotern identifiziert, automatisch positioniert und eingebaut. Alle Planungs- und Bauabläufe werden automatisch dokumentiert und kontinuierlich überwacht. Durch die Vernetzung der Daten können jederzeit auch kurzfristige Anpassungen oder individuelle Änderungen vorgenommen und sowohl Bauabläufe als auch das zu realisierende Bauobjekt optimiert werden.
Jede Änderung am BIM-Modell hat zugleich eine Veränderung damit verknüpfter Vorgänge und Abläufe zur Folge, woraus automatisch Handlungsanweisungen für alle Projektbeteiligten abgeleitet werden. Bauleiter werden bei ihren Controlling-Tätigkeiten durch automatische Analysen und Soll-Ist-Vergleiche ebenso unterstützt wie Bauunternehmer bei der Arbeitsvorbereitung, Bestellung, Lieferung und Montageüberwachung. Smarte Bauteile melden ihren Status an das BIM-Modell zurück, Baukräne, Baumaschinen und Fahrzeuge stimmen sich untereinander ab, so dass Kollisionen vermieden und unvorhersehbare Probleme schneller kurzfristig gelöst werden können.
Ähnlich wie in der Automobilindustrie sorgen automatisierte Prozesse für reibungslose Abläufe, und auf der Baustelle werden zeit-, kosten-, qualitäts- und lebenszyklusoptimierte Bauvorhaben realisiert. Szenen aus einem Science-Fiction-Film? Keineswegs – auf vielen Großbaustellen in Asien sind Teilbereiche davon längst Alltag.
Fazit
Durch die Verknüpfung oben genannter Technologien sind wichtige Teilaspekte der Baustelle 4.0 heute schon realisierbar. Doch für die praktische Umsetzung der digitalen Transformation fehlen übergreifende Standards. Eine große Herausforderung besteht darin, die Vielzahl an Arbeitsschritten, Akteuren, Softwarewerkzeugen, Abhängigkeiten und unterschiedlichen qualitativen Anforderungen abzustimmen.
Mit der Digitalisierung einhergehende Rationalisierungspotenziale lassen sich allerdings nur dann maximal ausschöpfen, wenn sich alle planenden und ausführenden Unternehmen beteiligen.
Andererseits ist die Digitalisierung nicht die Lösung aller Probleme, und auch auf der Baustelle 4.0 wird es Fehler geben. Zeitmangel, mangelndes Nachdenken, Preisdumping, eine unzureichende Werk- und Detailplanung oder das ständige Ändern von Plänen werden weiterhin Probleme verursachen. Hinzu kommt, dass zum Bau immer noch das Handwerk gehört und industrielle Prozesse schon aufgrund des unberechenbaren Faktors Wetter nicht eins zu eins übertragbar sind. Dennoch kommt man an einer konsequenteren Umsetzung der digitalen Transformation nicht vorbei, denn sie macht Unternehmen und den Bausektor fit für künftige Herausforderungen und Entwicklungen auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene.
Lesen Sie auch die Fachartikel „No Bang? Big Bang? Bigger Bang?“ und „Digitize or die!“